Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 53. Band.1926
Seite: 302
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0376
Sacheindriuglichkeit verbunden. Die zuvor wenigstens
latente Bewegtheit hat sich in eherne
Ruhe, in angespannte Gehaltenheit verwandelt.
Mit dieser Einstellung erhielt auch das spezifisch
Graphische anderen Sinn. Platte oder
Stein sind für Zeiten, die das bewegt Improvisatorische
lieben, diejenige Möglichkeit, wo man
entgegen etwa der durchgeführten Malerei seiner
Leichtigkeit,seinenEinfällenfreienLauf läßt,
wo der „Entwurf in seiner ersten Frische" hingehauen
werden soll. Für entgegengesetzte Perioden
, also auch für die mit Kanoldt wieder
anhebende Einstellung ist Graphik ein genaues
Durchfeilen einer kostbaren, bis in die Ecken
durchzubildenden Zeichnung. Graphik ist dann
der spezifischen, fertigen Bildwirkung stärker
angeglichen. Ihr eigentümlicher Reiz zieht sich
dann auf die technische Sonderheit zurück: daß
es gelingen müsse, alle Bildmittel auf die Reinheit
bloßer Schwarzweißwirkungen zurückzuführen
. Für Kanoldt ist bezeichnend, daß er
trotz seiner in scharfschnittigen Massenwirkungen
gebauten Blätter nicht zum Holzschnitt kam,
sondern zur Lithographie, der sein gesamtes graphisches
Schaffen gehört. Flier konnte er seinem
streng erhaltenen Bildgerüste jene zarteren,
schimmernden Ubergänge und Tonstufen einhauchen
, w7elche die Zeichnung wohltuend mit
Malerischem sättigen. Die Blätter leuchten und
dämmern zugleich,funkeln metallisch undschat-
ten in sammetartigeTiefe. Durch ständiges,ganz
allmähliches An- und Abschwellen der Schattierung
, von Weißlich über kühl Blaßgrau zu
Schwergrau bis ins tiefste Dunkelschwarz hinein,
ergibt sich sonore Modellierung. Ein klarer, mit
dem Wohlklang einer tiefen Stimme gegebener
cantus firmus. Bald in den allmählichsten Graden
einer Helldunkel-Kantilene, bald in scharfkantigem
Abbrechen der Modulation. Nie aber
wird der Zeichner durch die Widerstandslosig-
keit des tönenden Steines verführt, diese Resonanz
auszubeuten zu üblem, wolkigem Nachhall
: nie machen sich die Hell- und Dunkelmassen
selbständig in Form jenes vagen Gewölkes,
wie wir es bei zuchtlosen graphischen Routiniers
so selbstgenießerisch antreffen. Alle Tonstufen
behalten Dienst: sie haben die abtastbare
Körperlichkeit des Wirklichen eindeutig durch-
zumodellieren.

Dazu kommt eine neue Immanenz der Technik,
an der der ganzen jüngsten Kunst so viel gelegen
ist: es soll sich keinesfalls etwas Handschriftartiges
hervortun. DieTechnik in ihrer Durchsichtigkeit
bleibt gerade noch spürbar, aber sie unterstellt
sich allem Selbstgehalt der Wirklichkeit.
Das Körperliche der Welt soll in mjthischer
Objektiviertheit heraustreten, so wenig als möglich
durchkreuzt und durchschossen von der subjektiven
Mache eines Herstellungsprozesses. Das
Körnige des Lithographenmaterials verdichtete
sich deshalb sofort zu jenen ruhigen Flächen-
wirkungen. Diese festgefügten Flächen stehen so
zueinander, daß sich, wiederum mit den reinsten
Wirkungen des Schwarz weiß, wirkliche
Tiefen ergeben, also machtvolle Räumlichkeit
immer erhalten bleibt. Deren Schächte,
Keile und Gruben, die perspektivisch in die dritte
Dimension treiben, werden aber stets zusammengehalten
durch eine wohlgemessene Ordnung
aller Raumstufen und Schwergewichtsgrade
, so daß die Welt gesetzlich geschichtet,
aus kristallischen Einheiten auferbaut erscheint.
Kunst hat bei uns nur dann diese Klarheit erreicht
, wenn sich der dunkel bohrende deutsche
Ernst, der auch in diesen Arbeiten ruht, in die
Schule lateinischer ratio begab. Beide Elemente
haben sich in den Graphiken Kanoldts vereinigt.
Die klassische formale Zucht, die solchen Dingen
wieder eignet (vielleicht mag in dem restlos
Geordneten, wenn es nicht von Abgründigkeit
durchkreuzt ist, auch mal eine Gefahr
Kanoldtschen Empfindens liegen), erhält auch
darin Ausdruck, daß Kanoldts Graphik um
wenige Themen kreist, denen in immer neuer
Abwandlung ihre letzte, fugenhafte Formenreinheit
abgewonnen werden soll. Die „neue
Gegenständlichkeit" ist, im Gegensatz etwa zu
Dix, dessen Gefahren gerade in entgegengesetzter
Richtung liegen, hier selber wieder formal
geworden. Dies meist jedoch mit gutem Rechte.
Schließlich ist bezeichnend, wie die Lithographien
Kanoldts bisweilen Reproduktionsgrapbik
werden, so daß wir gelegentlich Malereien von
ihm wiederfinden, die beinah wörtlich ins
Schwarz weiß umzudenken ihm Bedürfnis war.
Auch diese Erscheinung knüpft wieder an alte
Handwerktraditionen an, man denke allein an
die Reproduktions- und Variantengraphik des
Rubenskreises. Man kann aber auch an andere
Zeiten und an ganz andere Gebiete erinnern
, ja an Stravinsky, mit dem entsprechende
Umsetzungsbedürfnisse wieder emportauchen,
wenn er mit ganz betonter Freude seine
durchgeklärte, neu gestraffte Orchestermusik
noch einmal für Klavier umarbeitet.

Dr. Franz Roh

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