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fordert man's. Sie sollen einem jeden sein Verhältnis
zu den Personen, seine Neigung und Abneigung
mit in ihr Bild aufnehmen; sie sollen
nicht bloß darstellen, wie sie einen Menschen
fassen, sondern wie jeder ihn fassen würde. Es
nimmt auch nicht wunder, wenn solche Künstler
nach und nach verstockt, gleichgültig und eigensinnig
werden." Und ähnlich der gebildete Mittelstand
; der Göttinger Philolog Heyne schreibt an
Wilh. Tischbein 1800: „ichfürchtesehr,Hamburg
wird das Grab Ihres Talents und Ihrer Kunst. Sie
sind also ganz ins Porträtmalen gekommen? . . .
Es ist aber wohl zu beachten, daß eine Geringschätzung
sich schon am Ende des 16. Jahrhunderts
bei Lomazzo, dem Theoretiker des Akademismus
, findet, für den die Historienmalerei der
einzig würdige Gegenstand der Malerei ist. Und
diese überragende Stellung, die man der Historienmalerei
gab, wirkte noch und wieder bei den
Franzosen des Rokoko. Bei aller Bewunderung,
die man an sich den Leistungen der Porträtmaler
entgegenbrachte, hatte die Gattung als solche das
Vorurteil des „Grand goüt" gegen sich. Diderot,
der mit grandioser Vorurteilslosigkeit eine Lanze
für sie bricht, ist eine ganz seltene Ausnahmeerscheinung
.
Eine neue theoretische Stütze mußte die Gegnerschaft
gegen das Bildnis durch die Verbreitung
der Ideen Winckelmanns finden, der lehrte, eine
Form sei um so edler und idealer, je mehr sie ein
Gemeinsames ausdrücke. Der Künstler war für
ihn, „ein Genie, der den Typus darzustellen vermag
, worin das ganze Menschengeschlecht sich
gleichsieht".
Die Romantik empfindet in ihrer ersten Phase
darin nicht einheitlich; für Fr. Schlegel ist das
Porträt nur Skizze, Fragment, Studium, nicht
vollendetes Kunstwerk, — wie noch später für
Wilh. Schadow „das Porträt unter dem Schaffen
des idealen Malers steht" —und diese Anschauung
liegt tief in einer Seite des Wesens der Romantik
begründet, für die ein lebhaftes Gefühl des Un-
genügens der Wirklichkeit so charakteristisch ist.
Man hat von der Fichteschen Philosophie gesagt,
sie spiegele nicht die künstlerisch aufgefaßte
Wirklichkeit wieder, sondern die Sehnsucht, der
Wirklichkeit und ihrer Gestalten ledig zu werden ;
die Abneigung gegen das Porträt als die objektiv
wiederzugebende Wirklichkeit würde in der Kunst
das genaue Gegenstück dazu ergeben. Fr. Schlegels
Bruder, August Wilhelm, steht freilich mit
seiner tieferen historischen und künstlerischen
Bildung auf einem anderen Standpunkt als der
Bruder; für ihn ist das Porträt Grundlage und
Prüfstein des historischen Gemäldes, wie denn
dessen größte Meister Lionardo, Tizian, Raffael
die größten Porträtisten gewesen seien.
Immerhin weicht auch dieser Romantiker in den
Forderungen, die er an das Porträt stellt, nicht
wesentlich von dem sonstigen Zeitgenössischen
ab, wenn er meint, die Physiognomie müsse
gleichsam von innen heraus in ihrer Einheit rekonstruiert
werden, so daß ein solches Bildnis
dem Dargestellten ähnlicher sehen werde als er
sich selbst. Fragen wir, wie ein Franzose und
zwar ein Modell, wie Napoleon, als er von David
gemalt wurde, über diese Frage gedacht hat, so
hören wir: „c'est le caractere de la physionomie,
ce qui 1' anime qu' il faut peindre . . . Personne ne
s' informe, si les portraits des grands hommes sont
ressemblants." Und ein deutscher Künstler, derin
Davids Atelier gewesen, Gottlieb Schick, von dem
noch die Rede sein muß, war der Meinung, der
zu Porträtierende sei in dem j enigen Moment seiner
Miene und Situation zu ergreifen, in welchem
er sich in dem höchsten Genuß seines eigentümlichen
Daseins offenbart, welcher notwendig auch
der für ihn vorteilhafteste und schönste sein muß.
Er hielt sich, wie ein Zeitgenosse bemerkte, in
allen Kleinigkeiten in seinen Bildnissen an die
Natur, „selbst", wie es bezeichnenderweise heißt,
„in dem Charakter der Haare", und überhaupt
dem, was mehr zufällig erscheint, weil er überzeugt
war, daß zu der Vorstellung dieses und keines
anderen Menschen nichts unwesentlich sei*).
Von dieser Anschauung entfernt sich doch in
etwas ein dem Goethe und Schiller nahestehender
Denker wie Wilh. v. Humboldt, der in Rom
der dortigen Künstlerschaft ein verständnisvoller
Förderer war, aber auch begeisterungsvoll die Antike
auf sich wirken ließ. In einem Briefe an
Schiller spricht er einmal schon früher (1797) von
demKünstler, der„immeridealisiere, aber der Gute
bleibe darum doch immer zugleich individuell".
„Für den Porträtmaler entsteht hier eine schwere
Aufgabe. Er soll, nicht wie der Dichter, in mehreren
Situationen, erzählend und fortentwickelnd,
sondern auf einmal den Charakter hinstellen und
die wesentliche Form mit Wegwerfung der zufälligen
und momentanen Züge zeichnen. Denn
diese Art der Verschönerung scheint mir schlechterdinge
notwendig, wenn das Bild einen ästhetischen
Wert haben soll. Nur wenn es das wahrhaft
Eigentümliche und Originelle darstellt, hat
es gleichsam ein eigenes Lebensprinzip in sich,
nur dann zwingt es den Zuschauer, sich den
Charakter als eine tätige, immer im Fortrücken
begriffene Kraft, nicht wie eine geschlossene, schon
vollendete Größe zu denken. Und darin liegt, dünkt
mich, die hohe Kunst der Alten. Ihre Kunstwerke
sind Porträts in diesem Verstände, aber nicht einzelner
Individuen, sondern der Menschheit, und
gerade in ihrem reinsten und vollsten Sinne.
*) Vgl. K. Simon: Gottlieb Schick. Ein Beitrag z. Gesch. d.
deutschen Malerei um 1800. Leipzig igi4. S. 101.
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