http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0434
EDUARD YALLET
Glaspalast, München
MÄDCHEN AM SONNTAG
hörende Figur, ein fortwandernder Mönch, zeigt
schon die Nähe der Romantik1).
Auf deutschem Boden versucht Ähnliches wie
Schick, ein Schüler der Hohen Karlsschule, Ferdinand
Hartmann schon früh (1794), der den
Dichter Matthisson in den Ruinen des Heidelberger
Schlosses darstellt. Aus klassizistischer Zeit
ein Vorklang der Ruinenschwärmerei der Romantik
, die freilich mit mehr Fäden, als gemeinhin
angenommen wird, mit dem Klassizismus verbunden
ist a).
Neben den wertvollen und die Entwicklung tragenden
Schöpfungen geht natürlich die Masse des
Mittelgutes und des zeitlich Bedingten einher.
Ein Nachleben des Barock etwa in dem Bildnis
der Kaiserin Maria Feodorowna von Lampi und
ähnlichen repräsentativen Porträts; ein Nachklang
des Klassizismus Davidscher Observanz bei deutschen
Künstlern ist es, wenn wir von einem, von
dem Darmstädter Maler Schmidt, in Rom entstandenen
(180g) Familiengemälde des Generals
Didou lesen: der Sohn tritt zur Mutter, das Schwert
des Vaters emporhebend; in der Ferne die Festung
Gaeta, an deren Belagerung der General Anteil
hatte. Für dieses Pathetisch-Heroische im Bildnis
fehlten bei uns Vorbedingungen,die Persönlichkeiten
des Malers so gut wie der Modelle. Vielleicht
nur bei Danneckers Schiller sind Künstler und
1) Simon, Schick a. a. O. S. 95.
2) Vgl. des Verf. Aufsatz im Aprilheft 1922 dieser Zeitschrift
„Carstens und die Romantik".
Dargestellter bedeutend genug,um eine Steigerung
ins Monumentale als wahrhaft gelungen erscheinen
zu lassen. Mit klassizistischer Scheidemünze
zahlen dagegen Männer wie Weitsch, wenn er die
Prinzessinnen Luise und ihre Schwester, die Büste
König Friedrich Wilhelms II. bekränzen läßt oder
Steuben, der Alex, von Humboldt zeigt: ganze Figur
in füll dress, mit Bleistift und Zetteln in der
Hand, an Felsen in südlicher Landschaft gelehnt
(1812). Angesichts ähnlicher Werke verwundert
es nicht, wenn eine tiefer blickende Zeitgenossin,
wie die deutsch-dänische Kunstfreundin Friederike
Brun sich einmal über das Darniederliegen des
Porträts ausspricht, „bei dem die Schuld auch an
uns selbst, an unserem Ausserunssein liegt: nicht
allein an den Malern, auch an den Gemalten, unserem
Mangel an Einfalt und innerer Stille, unserer
Eitelkeit. Wo und wie soll der Maler uns fassen
? Das eine verdirbt das andere, und was nicht
mehr da ist, kann nicht gemalt werden. Und so
entstehen die kalten, anspruchsvollen Bildnisse,
wo nicht die reine menschliche Individualität,
sondern was der Gemalte vorstellen oder der Maler
aus ihm machen wollte, erscheinen, selten aber
Wahrheit und Natur."
Diese Sachlage muß man im Auge behalten, wenn
man den Weg der weiteren Entwicklung des Porträts
während des ig. Jahrhunderts gerecht beurteilen
will — den Weg, der nicht nur in Niederungen
verlaufen, sondern auch in Deutschland
zweifellos zu ragenden Gipfelpunkten emporführen
sollte. Karl Simon
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