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her — die Ausmalungdes Doms, der doch durch
dienüchterneRenoviermigundPurifizierungder
1830 er Jahre seiner Eigenart, der Spuren seines
Lebens in der Geschichte längst beraubt worden
war (die Restauratoren drängten ihm, wieDehio
sagt, sogar „ihre eigenen hybriden Erfindungen"
auf), wurde als ein Sakrileg hingestellt. „Natürlich
", hieß es, „natürlich" richtet sich der Widerspruch
nicht gegen Becker-Gundahl. Aber
es kam doch so, daß wenige Monate nach Beckers
Tod die Ausmalung des Bamberger Doms durch
einen anderen (übrigensaußerordentlich begabten
) Künstler beschlossene Tatsache war — und
merkwürdigerweise erhob sich diesmal kein Widerspruch
, war es diesmal kein Verbrechen wider
den heiligen Geist der alten Kunst! Unwillkürlich
ruft dieserVorgangdie Tatsache ins Gedächtnis
zurück, daß Becker-Gundahl vor allen anderen
und ausschließlich berufen gewesen wäre,
das Innere der St. Anna-Kirche in München mit
Fresken zu schmücken. Aber es blieb bei den
allerdings grandiosen Arbeiten, die die Vorderwand
des Querschiffs schmücken: dem „Weinwunder
auf der Hochzeit zu Kana" und der
„Kommunion der Apostel". Diese beiden Fresken
sind Werke,dienichtnurimSchaffen Beckers
Höhepunkte bezeichnen,sie sind mit das Stärkste,
was die religiöse Malerei Deutschlands überhaupt
im letzten halben Jahrhundert hervorgebracht
hat. Es ist unbegreiflich, wie man, gemessen an
diesen vortrefflichen, in Gedanke, Auffassung
und Form ungewöhnlichen Schöpfungen, in der
gleichen Kirche etwas ertragen oder erdulden
mochte, das an malerischer Qualität wie an Ethik
so tief unter dieser Leistung steht!
Noch ein Schmerzliches im Schaffen Bccker-
Gundahls: sein Plan des Schmuckes der St. Maximilianskirche
, bei der ihn der weitblickende Freiherr
Heinrich von Schmidt zur Mitarbeit berief,
blieb Torso. Das Modell der Gesamtauschmük-
kung, wie sie Becker-Gundahl sich dachte, ist
vorhanden — vielleicht überträgt man es auch
wirklich einmal einem seiner Schüler, die Intentionen
des Meisters pietätvoll in die Tat umzusetzen
: es könnte ein Ersatz sein, aber, ach,
nur ein Ersatz! Denn Becker-Gundahls Schaffen
war von der Art, daß er sich nicht strenge an die
von ihm selbst gewählte Marschroute hielt; über
der Ausführung wuchs seiner schöpferischen
Phantasie Neues zu. Er änderte gern; aus der
Form, aus Zufallsbildungen des Pinsels, aus dem
Spiel derUntermalung ergab sich etwasPrägnan-
teres, und so kann die Ausführung eines Planes,
denBecker-Gundahl vorlegte, durch andereHand
wohl etwas von der Art und vom Geist des Künstlers
halten und wiedergeben, aber es kann nie die
unmittelbare Frische und das Schöpfertum des
Meisters selbst vergessen machen.
Torso — dieses Wort könnte man über das
Werk Becker-Gundahls überhaupt setzen, wie
es über dem Schaffen des Hans von Marees
stehen muß. In einem harten Leben wie dem
Beckers reiften viele Blütenträume nicht. Zäh
rang sich der Künstler empor. Er kam aus dem
Handwerkerstand, den er ehrte und dessen er sein
Leben lang als des Nährbodens seiner manuellen
Geschicklichkeit dankbar eingedenk blieb. Aber
die Tätigkeit des Handwerksmannes konnte
ihn auf dieDauernicht befriedigen. Sein Wunsch
ging höher. Vielleicht ist unter den Stürmern
und Drängern, die in den achtziger Jahren des
vergangenen Säkulums die Notwendigkeit einer
gründlichen Erneuerung der bildenden Kunst
verspürten, keiner, der so temperamentvoll, so
heiß nach neuen Gedanken, nach neuem Inhalt
und neuer Form begehrte. Vielleicht daß auch
das lebhafte Pfälzerblut, das durch seine Adern
rollte, diesem künstlerischenTemperamentVor-
schub leistete (Becker ist in Ball weder am 4. April
1856 geboren), vielleicht trug auch der Umstand
dazu bei, daß er an der Münchner Akademie,
die er relativ spät bezog, bei Wilhelm von Diez
auf eine Schar revolutionär gesinnter Kunstadepten
stieß, mit denen er sich wohl verstand
und aus deren Mitte heraus der Gedanke zur
Gründung der Secession aufstieg. Jedenfalls war
Becker-Gundahl von Anbeginn bei der neuen
Bewegung dabei. Aber während die anderen aus
ihrer Führerschaft bald auch praktischen Gewinn
zogen, gefeiert wurden, Berufungen zu
akademischen Professuren erhielten, mit Staatsaufträgen
ausgezeichnet wurden und allmählich
in das „Malerfürstentum" hineinwuchsen, stand
der ganz ideal und deshalb ganz unpraktisch
gerichtete Becker-Gundahl abseits. Es hat lange,
lange gedauert, bis man an ihn dachte. Spärlich
kamen die öffentlichen Aufträge. Zunächst von
führenden Architekten, von H. von Schmidt, von
Gabriel und Emanuel von Seidl, wie es sich denn
schon oft erwies, daß Baukünstler die Art eines
Monumentalmalers intuitiv erkennen, ehe sie
den eigenen Malerkollegen aufgeht; dann schlössen
sich Staat und Kirche an, es gab einige Staatsankäufe
von Tafelbildern, die freilich nie den
ganzen, echten Becker-Gundahl geben, und
schließlich erfolgte die Berufung an die Münch-
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