http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0460
zur Geltung bringt. Ein Interieur, ein Selbstporträt
fand man und ausgezeichnete Akte und
Bildnisse: die männlichen voll Kraft, Frische
und Lebensunmittelbarkeit, die weiblichen voll
herber Anmut, einer fast schamhaften Grazie
und Holdseligkeit. Becker-Gundahl galt weder
vor dreißig Jahren, noch galt er zuletzt als Porträtist
, sieht man aber die mannigfaltigen Bildnisse
dieser Nachlaßausstellung an, so
wird einem bewußt, wie er den Charakter
eines Menschen herausriß aus der Individualität
und zu einem Bild verdichtete
, aus dem ebenso sehr der Porträtierte
wie der Künstler spricht. Becker-
Gundahl selbst bezeichnete seine Tafelbilder
, also auch seine Bildnisse, die er
durchaus als Gelegenheitsarbeiten ansah,
als Vorbereitung für seine Monumentalgemälde
, die nach Wänden verlangten,
die in Fresko ausgeführt sein sollten. So
waren ihm auch seine vorzüglichen Zeichnungen
in Rötel, Kohle und Blei, die
sich aufs strengste an die Natur, an die
Wirklichkeit, an das Vorbild anschlössen,
nur Vorarbeiten. Hier entstanden, wie auf
gewissen Bildnissen, die Elemente eines
Apostels — eine leise Stilisierung, eine
Betonung des Charakteristischen, und der
heilige Mann, der holdselige Engel, der
Messias, die Gottesmutter sind aus dem
irdischen Vorbild herausgeschält. Auf
diesem selbstverständlichen und kaum
merkbaren Schritt vom Bealistischen zum
Symbolischen, von Erdenschwere zur
Verklärung beruht eines der Hauptmerkmale
von Beckers Kunst. Das andere
kann man in seiner wahrhaft monumental
gedachten und monumental durchgeführten
Komposition, für die der packende
Entwurf der „Taufe im Jordan" sprechen
mag, erkennen. Da gibt es keine Flauten,
keine leeren Stellen, keine Verlegenheitsattrappen
, keine kleine, ins Detail gehende
Form. iVlles ist groß und monumental,
wie es der Mann selbst war, zu dem auch
die Lebenstragik als etwas Notwendiges
gehört: die Tragik, daß ihn die Ungunst
der äußeren Umstände hinderte, gerade
seine schönsten und tiefsten Ideen zu
Taten zu entwickeln, vieles, das nach
Gestalt verlangte, als Torso zu hinterlassen
. Aber an Bedeutung und weiterwirkender
, in die Jahrhunderte ahnende
Kraft geht seinem Werk über dieser
Tatsache kein Iota verloren.
Georg Jacob Wolf
C. J. BECKER-GUNDAHL
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