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KUNSTFRAGEN UM MÜNCHEN
Die besorgten Stimmen und Meinungen, Vorträge
und Aufsätze, die sich mit der Zukunft
Münchens als Kunststadt befassen, wollen nicht
zur Ruhe kommen. Schon einmal, vor etwa
einem Vierteljahrhundert, wurde die Behauptung
vom „Niedergang Münchens als Kunststadt
" zum Schlagwort. Aber damals kam die
Stimme von außen her, sie erscholl von Berlin,
sie konnte als die Meinung der „Konkurrenz"
angesehen und bezeichnet werden. In kraftvoller
Tat wurde sie durch eine Reihe nennenswerter
Leistungen widerlegt,so durch die Eröffnung des
Prinzregententheaters, die AusstellungMünchen
1908 mit der Eröffnung des Ausstellungsparkes,
die Gründung des Künstlertheaters, die Konstituierung
des Deutschen Werkbundes in München
, die Mozart-Festspiele, die Bayerische Gewerbeschau
1912, die Konsolidierung des Münchner
Kunstgewerbes durch die Tätigkeit des
Münchner Bundes, den Zusammenschluß der
Neuen Sezession, die Eröffnung der Neuen
Staatsgalerie, die Berufung Wölfflins, die Reorganisation
der Kunstgewerbeschule durch
Riemerschmid und nicht zuletzt durch die Verjüngung
der Akademie-Lehrerschaft durch
Angehörige der jungen, fortschrittlichen Generation
.
Heute sieht sich der Fall anders an. Man kann
den erwähnten bedeutenden Leistungen der Gesamtheit
in den ersten i4 Jahren des 20. Jahrhunderts
nichts Gleichwertiges an die Seite stellen
. Und die bedenklichen und sorgenvollen
Einwände gegen den gegenwärtigen Zustand
kommen heute aus dem eigenen Lager. Man
bedarf gar nicht der Warner von außen — man
sieht es jetzt auch schon „intra muros" ein, daß
„etwas geschehen" müsse.
Die Sache liegt so: München hat durch die Revolution
und durch nachfolgende politische Umtriebe
von links und rechts, die gerade in dieser
unpolitischen, beharrlichen Stadt verheerend
wirken mußten, ungemein viel verloren. In Münchens
Kulturpolitik ist eine Unklarheit, ein
Schwanken gekommen, aus denen es keine Rettung
zu geben scheint, denn es fehlt die starke
Hand einer überlegenen, besonnenen, zum
Rechten führenden Persönlichkeit, es fehlt der
autoritative Wille, den z. B. Ludwig der Erste
besaß und bekundete, als er München zur Kunststadt
machte. W as heute geschieht, geschieht
nicht unter einheitlichem Gesichtspunkt, sondern
jede maßgebende Behörde geht, unabhängig
von der andern, ihren eigenen Weg. Die Generalintendanz
der Theater und der Musik kümmert
sich nicht um die Maßnahmen, die etwa der
Ministerialreferent des Kunstwesens trifft. Die
städtische Kunstpflege, ein lächerlich armseliges
Beginnen für ein Gemeinwesen, dessen Stadtväter
sogerneundwohlgefälligmit sattem Genießerbehagen
von „unserer Kunststadt" und von „unseren
Künstlern" sprechen, ist völlig desorientiert
und hilflos. Eine gemeinsame Veranstaltung
aller Kräfte wie sie z. B. die schwäbische Flaupt-
stadt mit ihrem „Stuttgarter Kunstsommer"
im sinnvollen Zusammenwirken aller Faktoren
erreicht, ist inMünchen heute undenkbar. Es tritt
die schwere wirtschaftliche Lage hinzu. Die Berliner
Zentralisation der Behörden hat Münchens
politische Geltung vermindert, ihm aber auch
wirtschaftlich geschadet. Um den sehr kunstfreundlichen
königlichen Hof gruppierten sich
einst eifrige Mäzene: sie sind mit dem Hof verschwunden
; andere, die sich um der Hofgunst
willen den Kunstdingen zuwandten, haben jetzt,
da es keine Ehren mehr einzuheimsen gibt, ihr
Interesse an der Kunst verloren. Die Stadt selbst
ist nicht reich, der bayerische Staat noch weniger.
Vordringliche Pflichten der sozialen Fürsorge
bestehen — gewiß, aber es ist nicht richtig, sie
immer dann vorzuschieben, immer dann von
ihnen zu sprechen, wenn Forderungen für künstlerische
Zwecke erhoben werden. Soziale Fürsorge
und Kunstpflege dürfen sich nicht im
Wege stehen; sie haben im Grunde so wenig
mitsammen zu tun als etwa Belange des Wasserbaus
und Angelegenheiten der Volksbildung.
Aber man glaubt in München, der privilegierten
Kunststadt, die diese Bezeichnung allezeit gerne
als Aushängeschild gebraucht, für die Kunstpflege
brauche man nur dann Mittel aufzuwenden
, wenn für alles Übrige längst gesorgt
ist. Man steht in dieser „Kunststadt" immer
noch auf dem Standpunkt, Kunst sei ein Luxus,
und wie für einen Luxusartikel, sei erst ganz
zuletzt, ganz nach allem andern, für die Kunst
Kapital flüssig zu machen, und dazu sei nicht
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