Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 55. Band.1927
Seite: 131
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_55_1927/0138
ALBIN EGGER-LIENZf

Am 4. November ist in St. Justina bei Bozen
Albin Egger-Lienz im Alter von 58 Jahren gestorben
. In ihm betrauert nicht bloß Tirol seinen
gefeiertsten Künstler, sondern die ganze deutsche
Kunstwelt eine ihrer eigenartigsten Gestalten.
Egger-Lienz wurde am 29. Jänner 1868 zu Strie-
bach im Pustertal, ganz nahe bei Defreggers Geburtsort
Dölsach, geboren. Früh zeigte sich seine
künstlerische Begabung, vom Vater, der Kirchenmaler
war, als erstem Lehrer gehütet und genährt.
1884 kam Albin auf die Münchner Akademie,
wo Baupp, Hackl und später Lindenschmit seine
Lehrer wurden. Seit 1893 lebte er in München
als selbständiger Künstler, 1899 übersiedelte er
nach Wien. Dort wurde er 1910 zum Professor
der Akademie vorgeschlagen, doch verhinderte
der Thronfolger Franz Ferdinand im letzten
Augenblick die Ernennung. Gekränkt verließ der
Künstler Wien, um sich in Tirol ein eigenes Heim
zu suchen. Nach kurzem Aufenthalt in Hall i. T.
folgte er 1912 einem Bufe an die Hochschule für
bildende Kunst in Weimar, legte aber trotz größter
Lehrerfolge schon im Sommer 19131 von unwiderstehlicher
Sehnsucht nach seinem heimatlichen
Gebirgslande fortgerissen, die Stelle nieder
und zog sich in die gesegnete Gegend von Bozen
zurück, wo er seitdem, rastlos schaffend, lebte.
Als er dann durch die Losreißung Südtirols italienischer
Untertan wurde, fehlte es nicht an Erfolgen
und Ehrungen, mit denen Italien den berühmten
Künstler an sich zu ziehen suchte: auf
Ausstellungen in Venedig (1922) und Mailand
(1924) hatte er große Erfolge und eine überaus
günstige Presse, sein Selbstporträt wurde in die
Galerie berühmter Maler in den Uffizien aufgenommen
. Doch haben die neuen Grenzen den
in seinem innersten Wesen deutschen Künstler
nicht von diesem wahren Mutterboden seiner
Kunst zu trennen vermocht. In großen Ausstellungen
haben in letzter Zeit Wien (1925) und
München den großen Tiroler vorgeführt. Eine
neuerliche Berufung an die Wiener Akademie
scheiterte, obwohl schon nahezu perfekt geworden
, schließlich an kleinlichen Schwierigkeiten.
Die schönste Ehrung ließ ihm aber die Heimatstadt
Lienz zuteil werden, indem sie ihm im Jahre
1925 die Ausschmückung der von denGemeinden
Osttirols gemeinsam erbauten Kriegergedächtniskapelle
daselbst übertrug: die monumentalen
Fresken in ihrem Innern sollten sein Abschied
von der Kunst werden.

Das Schaffen Eggers hat sich von allem Anfang

und mit großer Beharrlichkeit dem Leben und
der Vergangenheit seiner Heimat zugewendet:
stofflich ist es so durch eine gewisse Enge, geistig
durch eine ungewöhnliche Vertiefung ausgezeichnet
. Es gibt eine Anzahl hervorragender Landschaften
und Bildnisse von ihm: alles übrige sind
Bauernbilder, — allerdings Bauernbilder im
weitesten und höchsten Sinne. Mitten in der allgemeinen
Abwendung von Historie und Genre,
die der Impressionismus brachte, hat Egger das
tirolische Geschichts- und Sittenbild mit einem
ganz neuen Leben erfüllt und zu höchsten Werten
empor getragen. Anfangs gibt er, an Defregger
anknüpfend, noch mehr das bestimmte Einzelereignis
(Ave 1896, Kreuz 1901, Nach dem Friedensschluß
igo2), die genrehafte Einzelsituation
(Dorfpfeifer 1886). Dann aber weitet sich ihm
das Kriegsbild immer mehr zum gedankenvollen
Sinnbild einer Zeitstimmung (Totentanz 1908,
Haspinger 1909), das Genre zur fast religiösen
Verklärung des Bauernlebens in seinem tieferen,
inneren Gehalt (Säemann 1902, Wallfahrer 1905,
Vorfrühling 1905, Bergmäher, Mittagessen 1908
u. a.). Hinter dem Bauernleben erscheint ihm
immer mehr das Menschendasein überhaupt in
seiner schicksalhaften Gebundenheit, seinen unentrinnbaren
Gesetzen (Leben 1912, Erde 1913,
Der Mensch 1914). Der malerisch-impressionistische
Bealismus seiner Frühwerke wandelt sich
dabei in zunehmender Stilisierung zur linearen
Großmalerei. Mit den Mitteln breiter, liedhafter
Bildrhythmik hat Egger auch Ausdruck für den
Weltkrieg gesucht (Den Namenlosen 1916, Missa
eroica 1917, Finale 1918). Die letzten Großbilder
seit Kriegsende (Generationen 1919, Mütter 1922,
Auferstehung 1924) durchzieht in nochmaligem
innerem Umbau eine tief kontemplative und fast
visionäre Stimmung, für die er sich wieder einer
mehr malerischen Licht- und Baumstimmung,
fast in der Art des späten Bembrandt, zugewendet
hat. Bis zuletzt aber dienen ihm als Ausdruck für
all diesen reichen Gehalt die ins Große gesteigerten
Typen seiner Heimat, deren Leben ihm zum
Weltbild geworden ist. In dieser weitausschauenden
Gedanklichkeit bei stärkster Schollengebundenheit
, dieser höchsten Intensität auf engstem
stofflichem Baum liegt die eigenartige, völlig
naturhafte Kraft dieses Genius, in dem Stammesart
sich in monumentaler Weise manifestiert. Seine
sterblichen Beste sind zu Lienz bestattet worden;
es war sein Wunsch, so zur Scholle zurückzukehren
, der er einst entstiegen. H. Hammer

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