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ZUM TODE CLAUDE MONETS
Nur die Kenner trugen noch das Bewußtsein
in sich, daß Claude Monet, den sie unter den
Achtzigjährigen wußten, überhaupt noch unter
den Lebendigen weilte. Ein weiteres Publikum
aber sah hier bereits völlig historisch gewordene
Vergangenheit, zumal Manet, Pissaro, Sis-
ley, Degas und andere längst unter den Abgeschiedenen
weilten. Waren doch sogar die
Hauptvertreter der folgenden Stilstufen, der
Ubergangsmeister Renoir, vor allem aber Ce-
zanne, van Gogh und Gauguin, ganz zu schweigen
von H. Rousseau schon von hinnen gegangen
. So ragte bis vor wenigen Tagen, als er
mit 86 Jahren starb, Monet als ein letzter, einsamer
Vertreter der reinen Freilichtmalerei
des Impressionismus in unsre ganz veränderte
Epoche hinein.
Längst ist das Kampfgeschrei, ist die üble Ver-
leumdung dieser Malerei verklungen, gegen die
die Impressionisten einst ihr Daseinsrecht zu
verteidigen hatten. Inzwischen mußten jenes übliche
Anfangsgezeter sich die Expressionisten,
ganz neuerdings müssen es sich die neuen Gegen-
standsbetoner gefallen lassen. Monet behält vielleicht
nicht die Bedeutung Manets, der der originellere
war. Aber Monet hatte die Funktion,
bald vom Figurenstück ganz abzulassen und sich
allein dem auflösenden Wohlklang und Duft der
Atmosphäre zu verschwistern, ein Nur-Land-
schafter zu werden, dem es darauf ankam, völlig
entspannt, gelöst, im Hauche des Lichtes und
der Luft unterzugehen, alles aufsaugen zu lassen
durch jene flüssige Ursubstanz, die hier zum alleinigen
Bedeutungsträger alles Seins gemacht
wurde. Die impressionistische Technik, welche
Tupfen neben Tupfen unvermischt, in wogendem
, flimmerndem Lichtspiel hinschreibt,nahm
hier eine besondere Süße an, die Monet von dem
dämonischeren Manet unterscheidet. Doch war
es weder die Süße Corots, der in den blassen,
silbrig schimmernden Tönen und der seelischen
Eleganz etwa seiner Baumführungen noch im
Banne der Tradition des 18. Jahrhunderts weiterarbeitete
. Und es war noch nicht das seltsame
Irisieren, das Renoirs Bilder bereits leise
zu stiliseren anfängt zugunsten eines wiederbeginnenden
Volumens. Monet stand dazwischen
, wenn er direkter und verhältnismäßig
naturalistisch auf Darstellung wogender Atmosphäre
losging. Nicht im Sinne des wasserdunstigen
Helldunkels, das die Landschafter des
17. Jahrhunderts (etwa ein Goyen) zeigten, sondern
durch Aufsaugung aller Dunkelstufen ins
Blonde eines ungehemmten, durch helle Nebel
noch gesteigerten Tageslichts. Auch Gegensätze
und Begrenzungen sollten in diesem milden Gefühle
völlig untergehen. Nicht mind er die „ Komposition
", die ebenfalls gern einer stillen Auflösung
entgegentrieb. Nicht weniger der Tiefenraum
, der sich verflüchtigte, im Gestöber dieser
Licht- undLuftflocken ganz zum Flächenschleier
der Bildebene wurde. Alles das nahm im Gegensatz
zu Manet einen weiblicheren, zärtlicheren,
gelösteren, aber auch spannungsloseren Zustand
an, wenigstens in den bezeichnenden Werken,
so verschiedene Perioden Monet auch erlebte.
Monet umkreiste gern bestimmte Themen, die
immer wiederkehren: Ufer der Seine, Gärten
von Vetheuil und Argenteuil, Felder und Heuschober
, die Kathedrale von Rouen, die Städteausschnitte
und die nebelverhüllten Brücken
Londons. Er arbeitet immer im Freien und
brachte seine Bilder weit mehr in Nähe der
Skizze, als dies vor ihm bei Courbet oder Millet
der Fall gewesen war. Ein wenig zuerst von
Boudin und Jongkind angestoßen, dann durch
Troyon, vor allem aber Manet gezogen, wurde
er der Führer des Pleinairismus und einer letzten
Auflösung. Seine Malerei hinterließ auch
bei deutschen Pleinairisten stärkste Wirkung.
Bezeichnend ist, wie er serienweise dieselben
Landschaften immer wiederholte, um sie in veränderte
Augenblicksstimmung der ständig weiterwandernden
Sonne umzuschmelzen.
Schon mit Signac und Seurat sollte im Neoim-
pressionismus jener erste Keim neuer Verfestigung
des Bildgefüges entstehen, dessen Steigerung
die gesamte nun folgende Malereigeschichte
beherrschte. Und schon Cezanne drückte unsere
Distanz und zugleich bleibende Bewunderung
aus, wenn er sagte: „Monet ist nur ein Auge,
aber, mein Gott, was für ein Auge!" Dr. F. R.
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