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merkenswert ist unter anderem Goldschmidts
Beobachtung, daß hier die Löwenköpfe stärkeren
Tiercharakter aufweisen.
Daß über die ikonographische Deutung der
Augsburger Flügel bisher keine Einhelligkeit
erzielbar war, ist wohl nicht unbekannt. Um so
lieber stimmen wir hier dem Texte zu, wenn
er nachweist, daß es sich in Augsburg um zwei
sich völlig entsprechende Flügel eines Doppelportals
handelt, von denen der linke iu Unordnunggeraten
und durch Zwischenfügungen verbreitert
ist. Dann lassen sich auch aus der Kenntnis
der mittelalterlichen Prototypik und Symbolik
, besonders der Tiersymbolik, heraus die
einzelnen, bisher so rätselhaften, mehrfach auch
doppelt vorkommenden, figürlichen Darstellungen
der Reliefs zwanglos deuten, vielleicht auch
lediglich als Symbol des Guten und des Bösen
jener schießende Kentaur und der Löwe, für
deren Erklärung der Verfasser selbst noch nichts
Bestimmtes vorschlagen will. Deutet man mit
ihm die Frau, die Hühner füttert, mit dem Dezember
(Winter), so sind die drei anderen Jahreszeitensymbole
ohne weiteres einleuchtend.
Dann haben wir in der Tat, wiewohl von mehreren
Händen, ähnlich wie in Unteritalien und
Venedig, vor uns den Kreislauf der Zeit und
alle Kämpfe gegen die Sünde. Nasse
HERBSTAUSSTELLUNG DER AKADEMIE DER KÜNSTE, BERLIN
Die jährliche Schwarz-Weiß- und Aquarellausstellung
wurde durch eine Rede Max Liebermanns
eröffnet. Sie sticht auf eine vorteilhafte
Weise von der Gemäldeausstellung des Frühjahrs
ab. Sie besitzt mehr Gesicht und erweckt
zugleich den Eindruck größerer Weite; nicht
zuletzt zeigt sie eine Reihe von Bedeutsamkeiten,
die man im Frühjahr vermißte.
Dies liegt wohl weniger an der vorgenommenen
Auswahl, als vielmehr an dem Darstellungsobjekt
selbst. Scheint es doch, als ob die alte
deutsche Eigenschaft, im Zeichnerischen, in der
Kunst des Griffels und des Holzschnitts stärkere
und mehr Kräfte als in der Kunst der Farbe,
im Malerischen zu besitzen, gerade in unserer
Zeit wieder klarer zutage tritt. In den graphischen
Künsten besteht eine größere Anzahl
von Talenten, mit einer Reichhaltigkeit,
mit einer Eigenart des Ausdrucks, mit einer
Charakteristik, die oft bis zur Tiefe führt, wie
sie andere Länder kaum aufzuweisen haben.
Wie viele aber gibt es, die in der Farbe meist
versagen, und bei denen man erst hier erkennt,
daß man einen Künstler von höchster Eigenart
vor sich hat.
Besonders bemerkenswert ist die große Reihe
starker illustrativer Talente. Es gibt mehrere
Künstler, denen man wünschen möchte, daß
sie sich ausschließlich der Graphik zuwenden
und daß sie erkennen mögen, daß hier ihre
wesentliche Leistung liegt. Beschränkung kann
hier zur Bedeutung führen. Illustrativ zu sein, ist
kein verminderndes Werl urteil. Und ein bedeutender
Illustrator ist weit mehr als ein mittelguter
Maler!
Künstler wie Zille, Th. Th. Heine und Gulbrans-
sonhabendieseklare Bahn beschritten und stellen
in ihrer Verschiedenheit ein Trio dar, dem schon
eine internationale Bedeutung zukommt. Heine
zeigt seine messerscharfen Simplizissimuszeich-
nungen, Zille seine Erlebnisse des Nordens,
festgehalten in einem berlinischen Realismus,
in dem ebensoviel unerbittliche Klarheit wie
versteckte Liebe sich befindet. Gulbransson
führt in dünner Linie einige vorzügliche Porträtköpfe
vor. Seinen Märchenillustrationen
bekommt jedoch die Gulbranssonsche Klarheit
weniger. Die Märchen büßen ein wenig von ihrem
irrationalen Reiz ein. Josef Hegenbarth zeigt eine
phantasievolle Folge aus dem 30jährigen Krieg.
Auch Ferdinand Spiegel ist hier zu nennen,
Georg Walter Rössner, Alexander und Ernst
Oppler, Hans Meid und Magnus Zeller mit
bemerkenswerten Aquarellen aus Marseille und
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