Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 55. Band.1927
Seite: 236
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_55_1927/0254
von Goldstaub und Sonnenstrahlen durchrieselten
Bilder, daß sie, selbst im Anspruchslosesten
, weit über die Kunst des Alltags emporragen
. So kommt es, daß von diesen Bildern
Wirkungen ausgehen wie sonst fast nur von
Schöpfungen aller Meister. Sie haben, ohne
selbst Fresken zusein und ohne es sein zu wollen,
doch vieles vom Wesen solcher, von ihrer
stillen, ruhigen Größe, ihrer Einfachheil und
ihrer Zeitlosigkeit.

Oswald Poetzelberger ist am 26. Februar 1S93
in Karlsruhe geboren, als Sohn des bekannten
Malers Robert Poetzelberger, der damals als
Professor in Karlsruhe gewirkt hat und seit
1900 fünfundzwanzig Jahre lang in gleicher
Eigenschaft an der Kunstschule in Stuttgart
tätig gewesen ist. Studiert hat Poetzelberger
nur bei seinem Vater. Ein Onkel von ihm

ist Leo Putz, und es braucht keiner Versicherung
, daß auch dieses verwandtschaftliche
Verhältnis nicht ohne Anregungen geblieben
ist. Weit mehr haben ihm allerdings, auf
Grund seiner künstlerischen und seelischen
Einstellung zu den Dingen, die oben bereits
genannten alten Meister gegeben. Auch der
Besuch einer Schule in Zuoz im Engadin
hat ihm Eindrücke vermittelt, die zu den
tiefsten seines Lebens gehören. Die unvergleichliche
Großartigkeit, Klarheit und Erhabenheit
dieser Landschaft und ihre bis jetzt
stärkste künstlerische Formwerdung, Segantini,
haben seinem Denken und Fühlen in entscheidender
Weise jene Richtung gegeben, der er
bis heute treu geblieben ist und die wohl
im wesentlichen für ihn bestimmend bleiben

wird. Richard Braungart

KRITIKER-BEDENKEN

Der Kritiker: ein reizbares Instrument, ein d urch
Begabung und Schulung empfindlicher Wertmesser
; steckengebliebener Künstler ohne Groll,
produktiv durch Verschmelzung mit den anderen
; in beständiger Gefahr, sich durch den
raschen, spürenden, gleitenden, den tief einbohrenden
, restlos sich hingebenden Blick zu verlieren
; in beständiger Gefahr, durch die dauernde
Befassung mit einer von der Natur
abgeleiteten Sache sein naives Naturgefühl
einzubüßen. Der Kritiker — oder sollte ich
lieber „Referent" sagen? Das trifft gerade
den empfindlichsten Punkt des Problems: wie
weit darf und soll man hier persönlich sein?
(Darin liegt ja wohl der wesentliche Unterschied
.)

Eine Frage des Charakters, ebenso wie der Zeit-
slrömung. In einer Zeit des Impressionismus:
höchst persönliches, lyrisch gefärbtes Referat.
Gegengewicht, zur objektiven Wertung hindrängend
: Die Milieutheorie. In einer Zeit
objektiver Werte: mehr doktrinäres Kunst-
richtertum. Gegengewicht, zur subjektiven Wertung
hindrängend: die Einfühlungstheorie.
Heute: alles aufs „Erlebnis" zurückgeführt. Also
eine Verschmelzung. Rathenau (Reflexionen):
„Ästhetischer Genuß entsteht, wenn eine verborgene
Gesetzmäßigkeit empfunden wird."
Also Gesetz — aber zugleich Empfindung.
Wird das Gesetz bewußt, so mischt sich schon
Wissenschaft darein. Die Empfindung des Gesetzmäßigen
aber geschieht durch ein aus Erfahrung
abstrahiertes Kunstgefühl, also wieder
ein Persönliches. Der Kritiker kann sich daher
hinter nichts verschanzen, er muß immer
mit seiner ganzen Persönlichkeit einstehen.
Damit nähern sich Referent und Kritiker zur
fast völligen Einswerdung.

Aber sie werden nicht Eines — so wenig als
Verstand und Gefühl je anders als vor vollkommenen
Meisterwerken Eines werden. Und
solche bringt unsere Zeit nicht hervor. Oder
fehlt uns nur der Blick dafür? So wird der
Arme von seinem Gewissen im Kreise herumgetrieben
und überall sind Ecken, an die er sich
stößt. Soll ich also auf den Standpunkt des Künstlers
, gleichsam in sein Haus, eintreten und das
Werk von innen betrachten ( Einfühlung) ? Oder
von mir aus, also von außerhalb und es in eine
bestimmte Reihe eingliedern? (Historischer
Standpunkt.) Von seinem Wesen aus hat der
Künstler fast immer durchaus Recht, da hört

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