Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 55. Band.1927
Seite: 241
(PDF, 91 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_55_1927/0259
Meistens bleibt ja der Schaffende dem Kritiker
natürlich unbekannt. Ich trete also vor ein fremdes
Kunstwerk hin. Der erste Eindruck ergibt
die Feststellung eines gewissen Niveaus: bedeutend
, wenig oder unbedeutend. So beobachte
ich viele Künstler durch Jahre, nur durch die
Magie der Kunst mit ihnen verbunden, sehe,
wie sie sich innerhalb ihrer Grenzen behaglich
umtreiben oder düster quälen oder tapfer fortschreiten
— ein seltsames Schattenspiel. Und
da stellt sich nun allmählich, durch die wachsende
Übung immer rascher, ein Neues ein: der
Schatten wird lebendig. Das Kunstwerk enthüllt
, mehr noch als die redende, handelnde
Persönlichkeit selber, mehr auch als die Schrift,
das Wesen des Künstlers. Und da beginnt nun
die nämliche Schwierigkeit wieder von neuem:
Sympathie oder Antipathie, nur in einer geistigeren
Sphäre. Ja, reizen uns die Werke der
großen Meister nicht ebenso durch die Persönlichkeit
als durch den künstlerischen Gehalt
? Die antiken verraten am wenigsten davon
. Das hohe moralische Gefühl für Haltung
und Würde, das allen Künstlern jener Zeit
Mäßigung im Ausdruck der Leidenschaften
gebot und sie auf Darstellung eines Ideals hinlenkte
, hat wohl auch das Einströmen des Persönlichen
gehemmt.

Hier führt die Betrachtung mehr ins Allgemeine
hinaus: auf die hohe Bedeutung des geistigen
Habitus einer Zeit. Alle Zeiten, die stark
von der Antike abhängig waren, anerkannten
bewußt oder unbewußt die gleiche Bindung. Es
entstanden oft schale, frostige, aber nie verletzende
Werke. Im Barock drückt sich starke
Ekstase aus, also ein nicht ganz sauberes, schwelendes
, dampfiges Gefühl. Bauch mischt sich
in die reine Flamme. Das Schmachten und Ohnmächtigwerden
der heiligenTheresa von Bernini
hat schon zu vielen zynischen Bemerkungen Anlaß
gegeben, die aber ihre Berechtigung haben.
Das Pathos eines sich windenden Heiligen ist oft

theatralisch, es strömte also Eitelkeit ein. Das
Rokoko hat sich durch seine Lüsternheit einen
üblen Namen geschaffen. Noch vor 100 Jahren
war die Darstellung der arbeitenden Volksklassen
verpönt. Da mischte sich ein häßliches soziales
Vorurteil in die „idealen" Prinzipien. Der Naturalismus
des t 9. Jahrhunderts warsympathisch
durch seine Ehrlichkeit, konnte aber doch auch
peinlich wirken, wenn er strahlende Schönheit
darstellen wollte, und man spürte, wie sich hitzige
Gier in das Kunstwerk einmischte.
Kurz, das künstlerische Gewissen kann lässig
werden, es läßt sich überreden und täuschen.
Und hier wenden sich die Bedenken des Kritikers
, die bisher reflexiv waren, gegen gewisse
Künstler. Unsere Zeit hat alle Bindungen abgeworfen
und will nur das „Rein-Menschliche"
ausdrücken, das oft ein „Allzu-Menschliches"
ist (sucht aber dabei im stillen nach einem Ideal,
weil sie fühlt, daß sie es braucht, weil sonst
das Chaos käme\ Indessen ist man zu den
Wilden in die Schule gegangen und zu den
Kindern, damit ist dem Leichten, Tänzerischen,
zugleich aber auch dem Dumpfen, Schweren
die freieste Bahn gebrochen. Auch dieses
hat seine Bedeutung und Berechtigung, es
gibt neuen Erdensaft, Erdenschwere. Ich will
also einem Künstler wie Georg Groß seine satirische
Darstellung des Nackten nicht schelten.
Bei anderen wie etwa Pascin ist es hie und da
eine interessante Verschnörkelung, Paraphrase,
Stilisierung des Nackten, also ein Fortschritt in
der Form. Oder Milieuschilderung. Aber welch
unangenehme schwüle Atmosphäre! Nicht auf
meiner Seite liegt die Muckerei, wenn ich hier
protestiere. Muß wieder einmal der Spruch
Nietzsches zitiert werden?: „Das Christentum
gab dem Eros Gift zu trinken. Er starb nicht
daran, aber entartete zum Laster." Solche Dinge
sind am besten mit Grazie und Freiheit zu behandeln
, wie es die Alten taten (siehe Pompeji).
Wenn aber satirisch, dann scheint es mir gefährlich
, daraus eine Spezialität zu machen.

Glissez, n'appuyez pas! Dr. Franz Ottmann

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