Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 55. Band.1927
Seite: 278
(PDF, 91 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_55_1927/0300
Körpers anatomisch richtig darzustellen. Es war
eine Tätigkeit, die den Leib photographierte und
die Seele vergaß. Mit einem mal kam die Einsicht
, daß auch in der PJaslik vor allem die Beseelung
wiedergewonnen werden müsse. Da immer
schon der Mensch das vornehmste, ja fast
ausschließliche Objekt dieser Kunst war, so lag
nahe, Empfindung und Ausdrucksbewegung unseres
Körpers nicht allein nur von mechanischen
Ableitungen und Gesetzen zu abstrahieren, sondern
den beseelten Geistkörper in seinem Mienenspiel
selbst in den Mittelpunkt des eigentlichen
künstlerischen Problems zu stellen. Man
wurde aufmerksam auf das, was derSchauspieler
in seiner Kunst vollbringt. Freilich besteht ein
wesentlicher Unterschied darin, daß jener sein
Material im eigenen Körper besitzt, der Plastiker
hingegen sein Körpergefühl und -empfinden
erst in eine materielle Form bringen muß. Das
mimische Spiel des Körpers ist für den Plastiker
in erster Linie auch ein Formproblem — im gewissen
Sinne eineArtMaterialisationsphänomen!
Wobei der in Stein, Holz und Bronze arbeitende
Bildhauer stets sich auch der Grenzen und
Möglichkeiten seines Materials bewußt bleiben
muß. Daß das nicht ohne Schwierigkeiten abgeht
, ist klar. Nicht ohne Kampf wird ihm das
Schöne gelingen, denn jede solche Schöpfung
bedeutet eine Auseinandersetzung zwischen
Idee und Form, Geist und Material, Natur und
Kunst!

Die Kunst Ferdinand Liebermanns zeigt uns,
daß gerade die innigste Beseelung der Form sich
oft nur in ganz feinen Bewegungen und Rhythmen
auswirkt und daß es auch hier leichter ist,
mit lauten dekorativen, als mit feinen lyrisch gestimmten
Elementen zu arbeiten.
„Wenn du mich nicht verlassest, Genius!" läßt
Goethe den Künstler sagen. Wie eine solche
Adoration erscheint der vergeistigte Kopf mit
geschlossenen und doch sehenden Augen; das
Bild einer Abgeschiedenen und doch noch Fortlebenden
.

Der Statue „Venus" liegt mehr als nur äußerliches
Motiv zugrunde. Wohl hat sie ihren

Schwerpunkt im statischen, aber zugleich geht
auch durch diese Figur eine leichte Regung, ein
Vortasten, Fühlen, die ihre Parallele auch im
Ausdruck des Kopfes und in der Haltung des
Oberkörpers findet. Ein Werk, ganz Statue und
doch wie ein Krug bis an den Rand gefüllt mit
flutender innerer Bewegung.
Wieder anders geartet sind die „Tänzerinnen",
die in Gebärden und mimischer Bewegtheit
mit stärkeren plastischen Gesten arbeiten. Man
kann die Gefühle, die diese mimischen Gesten
ausströmen, mit Worten nicht umschreiben.
Man müßte sie anders übersetzen. Der Rhythmus
dieser Figuren ist Musik.
Die beiden am Boden lagernden Figuren, die
Liebe Harrende und auf dem Boden Hingegossene
und der in sich ruhende müde Held, zeigen
den heroischen Gang und die Erdenschwere unseres
Daseins. Das Weib soll bluten um der Liebe
und der Mann um des Lichtes und um der Idee
willen. Doch drängt ein Letztes in uns nach Erlösung
und Erleuchtung und will hinauf und empor
. Ein Symbol gleichsam dieser Idee scheint
uns die Figur: „Erleuchte uns."
Wie ein Ausschnitt aus einer Symphonie mit
dem schematischen Motiv „Ausdrucksplastik"
erklingt es für unser Empfinden aus Ferdinand
Liebermanns Schaffen. Wir sehen ihn auf seinem
vorgezeichneten Wege erst auf der Mittagshöhe
stehend. Er weiß genau, wohin er will.
Er kennt auch die Dämonie und die Irrlichter,
die gerade auf diesem Wege ihm lauern, wobei
keine Gefahr für ihn besteht, ins Materielle abzusinken
, wohl aber an der Uberfülle von Un-
sinnlichkeiten,diematerielleForm zu schwächen.
Da er aber diese Klippe gut kennt und ihr bei
seinem bisherigen Schaffen immer auszubiegen
wußte, wird er daran auch nicht scheitern. So
möge ihm denn dieFülle der Gesichte zuströmen,
er wird sie im prometheischen Ringen mit Stoff
und Geist,Form und Materie bezwingen und dem
innerlich Geschauten Form und Gestalt verleihen
. Für jeden solchen Künstler gilt das Bibelwort
: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich

denn." A. Heilmeyer

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