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erscheinen, als wollten sie sich öffnen und ihren
verborgenen Gehalt enthüllen. Aber das Erarbeiten
des Ausdrucks ist anstrengend und von
Arbeit belastet. Der Drang, den geheimen Sinn
des Eindrucks der Dinge zu enträseln, bedingt
eine außerordentliche Anspannung des Geistes,
und immer von neuem taucht im Künstler der
Zweifel darüber auf, ob es gelingen wird, die
noch schwankenden, vom Gefühl ergriffenen
Gehalte der Erfahrung in Festigkeit zu bannen
und in die Form einzufangen.
Bei derSchöpfung einesPorträts steht derMensch
dem Menschen als ein fluktuierender Komplex
von Eindrücken aller Sinne, von Sympathien
und Antipathien, von Urteilen und Vorurteilen
gegenüber. Aus dem weitverzweigten Geflecht
seiner Eindrücke vollzieht der Künstler die Abstraktion
des rein Anschaulichen aus der ungeklärten
Wirklichkeit. Das Naturgegebene erfährt
eine künstlerische Umbildung, der Sinn
der bloßen Erscheinung als solcher, ihre Reize,
ihre inneren Notwendigkeiten werden herausgearbeitet
. Das seelische Element hat in der bildenden
Kunst eine andere Bedeutung als in der
Dichtkunst. Für die Dichtkunst ist das seelische
Leben der Stoff der künstlerischen Umgestaltung
. Innerhaib der bildenden Kunst kann jedoch
das Seelische nur der körperlichen Erscheinung
folgen. Durch die künstlerische Vereinheitlichung
der sinnlichen Gegebenheit läßt die körperliche
Erscheinung im Beschauer die Vorstellung
einer Seele erklingen. Erst wenn der
Eindruck des Seelischen erreicht ist, geht eine
Verwebung, eine Durchdringung des Körperlichen
vor sich. Die Erscheinung ist um so
strenger stilisiert, dem Geometrischen nahegebracht
, je weniger der Ausdruck des Seelischen
gesucht wird oder gelingt. Bis in die Zeit
der Renaissance hinein ist die geometrische Gestaltungsart
noch keineswegs verschwunden. Die
Seelenhaftigkeit als zusammenfassende Funktion
tritt erst bei Rembrandt völlig in die Erscheinung
.
Auch Bernhard Pankok weiß von der Schwere
des Irdischen, das von der Stofflichkeit des Sinnlichen
umlagert ist. Er sucht die Erregungen
seiner Eindrücke zur Form zu bändigen. Seine
Kunst läßt sich nicht vom Gefühl fortreißen,
sondern nimmt es als Rohstoff. Immer ist er
bestrebt, das verborgene Individuelle in den von
ihm zur Darstellung kommenden Menschen
aufzufinden und in prägnanter Form zur Darstellung
zu bringen. Dieser Künstler ist der
Worte von Paul Valery eingedenk: „Vergiß
niemals, daß ein Werk eine beendete, feststehende
und materielle Sache ist." Jedes künstlerische
Erlebnis ist nicht nur eine Bereicherung
unseres Gefühls, sondern darüber hinaus eine
Berührung mit einer Wahrheit und einer Wirklichkeit
. Die Bemühungen dieses Künstlers gehen
in erster Linie dahin, das wirklich Sichtbare am
Menschen herauszustellen und seine Porträts
mit Leben zu füllen. Er weiß, daß das Erleben,
um sich selbst zu vollenden, zur künstlerischen
Gestaltung fortschreiten muß. Nur auf diesem
Wege können sich für ihn die Geheimnisse
der Dinge enthüllen. So ist seine Arbeit erfolgreich
dem Dienst der Anschauung und der
Gestaltung, der Herausarbeitung des Sinnes
der Erscheinungen gewidmet. Oskar Wolfer
AMTLICHE KUNST
Wenn hier von amtlicher Kunst die Rede
ist, so sollen die gnädigen Schleier, die über
die Kunstpflege und Kunstgesinnung gewisser
staatlicher und städtischer Behörden gebreitet
sind, beileibe nicht gelüftet werden. Es ist
eine feststehende Tatsache, daß selbst sonst
ausgezeichnet beratene und vorbildlich wirkende
Amter gründlich versagen, sobald ihnen
eine Angelegenheit der Kunst unter die Finger
gerät. Von der staatlichen und städtischen
Auftragserteilung in Kunstdingen ließe sich
ein schlimmes Lied singen, namentlich wenn
es sich um die Lösung plastischer und malerischer
Aufgaben handelt. In Hinblick auf
die Architektur liegen die Verhältnisse günstiger
, denn an den öffentlichen Baubehörden
sind heute — im Gegensatz zu den Zeiten
vor vierzig und fünfzig Jahren — Fachleute
tätig, die doch ebenso wohl Künstler als
Beamte sind.
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