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den Weg als eine heimliche Wallfahrt. Die
Ausstellung, so umfangreich, so bedeutungsvoll,
so nachhaltig in ihrer Wirkung sie war, wollte
vor allem eine Huldigung der Heimat für ihren
großen Sohn sein — eben an der Stätte veranstaltet
, wo man ihn schon dreißig Jahre vorher,
noch bei seinen Lebzeiten, enthusiastisch feierte.
Dazu war Basel auch die Stadt, von der sein
Ruhm in alle Welt ausging. Nach Basel kamen
außer den engeren Schweizer Landsleuten nur
die Getreuesten der Böcklin-Gemeinde; die
kantönliche Enge, die Atmosphäre des Patriziats
von Basel lag über der Ausstellung, es war,
wenn man so will, als feierte man ein Familienfest
. Nun ergreift mit der Berliner Veranstaltung
das ganze deutsche Volk aufs neue Besitz von
einem seiner größten Künstler, der in gleichem
Maße ein herrlicher Mensch war. Einer, der
durch harte Kämpfe der Jugend und des Mannesalters
geläutert, in das hohe Alter einging
und als eine erhabene Greisengestalt in unserer
Erinnerung steht: einer jener alten Männer,
die der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts
das Profil der Ehrwürdigkeit verleihen, wie ihr
die stürmischen, frühvollendeten oder frühverbrauchten
Jungen vom Schlag eines Runge und
Oldach, eines Rethel und Alt die Beimischung
eines wilden Jugendrausches geben . . .
Indem Berlin die Böcklin-Ausstellung veranstaltet
, zu der sie aus dem Besitz der Nationalgalerie
einen gewaltigen Stock an Werken beisteuern
kann, die tatsächlich Meilensteine des
^Verdeganges Böcklins sind, ist es in der Lage,
ein von Berlin ausgegangenes Unrecht an Böcklin
wieder gutzumachen. Man hat vor etwa zwei
Jahrzehnten, als man Raum für „andere Gotter"
benötigte, Böcklin „entthront". Das will sagen,
man hat ihm jenen Platz in der Geschichte der
deutschen Malerei leichtfertig streitig gemacht,
der ihm durch sein Ingenium, sein Können, seine
Eigenart, seine menschlichen und künstlerischen
Leistungen zukommt. Man hat andere zu erhöhen
versucht, indem man es unternahm,
Böcklin zu stürzen. Aber Rang und Klassizität
Böcklins stehen so außer Frage, sind so über alle
Anfeindungen aus persönlichem Interesse des
Snobs erhaben, daß wohl für einen Augenblick
eine Wolke über den Glanz des Namens Böcklin
ziehen, dieser Glanz aber auf die Dauer oder
auch nur für kurze Zeit nicht verdunkelt werden
konnte. Böcklin lebt heute mehr als je. V'on
den beiden Ausstellungen und von der literarischen
Beschäftigung mit seiner Kunst aus
Anlaß der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstags
werden gewaltige Wirkungen auf die
ganze europäische Kunst ausgehen. Nach dem
Abklingen der Expressionismus genannten
Kunstbewegung und aus der Erkenntnis, daß
der Impressionismus nur eine Kunstform, gewissermaßen
nur eine technische Manier ist,
die der Beseelung und Geistigkeit erst bedarf,
kann Böcklin, dessen Name, Ruf und W^erk in
dieser Stunde stolz gefeiert wird, aufs neue
Führer sein. Und muß es sein. Denn in Böcklins
Kunst schwingen wie Glocken die letzten und
höchsten Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks
. Jenseitige, der Welt des Tatsächlichen
entrückte Dinge steigen auf, und diese Empfindungen
, Stimmungen, Ahnungen hat Böcklin
zu Bildern zu gestalten vermocht, die in den
eigenartigsten Erscheinungen vor der Nachwelt
stehen. Böcklins innerer Reichtum ist unerschöpflich
. Seine Phantasie hat man stets gepriesen
, aber diese Phantasie ist nicht eine nur
stoffliche, sondern Böcklin besaß auch die Phantasie
der Gestaltung. Er war nicht nur ein großer
Künstler, ein Dichter, was man im Grunde nie
in Abrede stellte, sondern auch ein ebenso großer
Maler, was man zu gewissen Zeiten gerne bestritt.
Die Kraft seines Gestaltens, der Reichtum an
Form- und Farbvorstellungen, seine zwingende
Komposition kommt einem besonders dann
zumBewußtsein, wenn man sich der eingehenden
Betrachtung jener Hauptwerke zuwendet, die
uns in mehrfachen Varianten überliefert sind.
Also etwa die „Toteninsel", die „Villa am Meer",
„Triton und Nereide" und „Zentauernkampf".
Daß Böcklin wiederholt an das gleiche Motiv
schritt, ist nicht ein Beweis, daß ihm nichts
Neues eingefallen wäre. Es dokumentiert etwas
ganz anderes: daß er innerlich so reich war,
daß die eine Fassung eines Gemäldes gar nicht
ausreichte, all das hineinzulegen, was ihm ein
Motiv gab, was er aus ihm an tiefen Eindrücken
gewann. Er mußte es durch alle Stimmungen
führen, alle Möglichkeiten, die sich vor ihm
auftaten, daran versuchen, und es erweist sich
so, daß er auch ein Maler von großer Gründlichkeit
war.
Böcklins Kunst ist nicht ohne Ahnen, wie sein
Schaffen sich auch mit dem seiner künstlerischen
Weggenossen berührte und er selbst sich gerne
in kunsttheoretische Erörterungen einließ. Er
war ein Grübler, ein Sinnierer, den neben seiner
Kunst auch technische Probleme beschäftigten.
Sieht man sein Alterswcrk „Melancholie" an,
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