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Jahrzehnte früher im Sacre die nicht mehr
überbietbare Würde des Kaisertums, die in der
Figur des krönenden Napoleon gipfelt. David
malt die hieratische Strenge der monarchischen
Aktion, ihren starren architektonischen Stand,
ihre zentral wirkende Autorität. Peter KraflFt
stellt die Menge dar. Er malt die Menschen,
die um den Kaiser drängen, er malt das Volk.
Nicht der Kaiser, die Kinder, die Bürger und
Arbeiter und Soldaten, die der Augenblick des
Schauspiels versammelt, sind die Akteure der
Szenen. Die Plätze zwischen der Karlskirche
und dem für den Einzug errichteten Triumphbogen
, zwischen der Hofburg und dem Burgtor
und der Schweizerhof sind Schauplatz des dichtbewegten
Gedränges unübersehbarer Menschen,
die zufällig und anonym bleiben, eine einzige
soziale Einheit, in die der Monarch eingeht.
Alle Distanz zwischen Kaiser und Volk überspringt
der stürmische Jubel des Empfangs auf
der Botschafterstiege, mit dem das Bürgertum
seinen Monarchen wie einen Bürger begrüßt.
Das Bürgertum als Held der Situation, als Träger
der alles Repräsentative verlierenden Geschehnisse
. Die bürgerlich gewandelte Epoche
empfängt in KrafFts Gemälden unmittelbarste
Zeugnisse ihres natürlichen und lebenswahren
Auftritts. Dem Bürgertum fehlt jeder Grad des
Zeremoniellen. Seine Existenz vollzieht sich
mit jenem Maß von lebendigster Ursprünglichkeit
, das vor der Konvention des hochgezüchteten
Gesellschaftlichen wirkt. Die Figuren
stehen, mit dem Rücken gegen uns, sie drängen
und eilen, schauen staunend oder geben sich mit
plötzlicher Gebärde ihren Erregungen hin.
Alles verfällt dem Augenblick: Flaltung, Gruppierung
, Bindung im Raum und mimischer
Ausdruck. KrafFt gibt das Bewegte, das Zufällige
des Augenblicks in schöner Steigerung:
das fast bewegungslose Gedränge und Gepränge
auf dem Einzug des Kaisers nach dem Sieg von
Leipzig, den stärkeren Bewegungsklang, horizontal
gedehnt in majestosem Tempo (in Figuren
, Architekturen und Raum) in der ersten
Ausfahrt, und stürmisch gesteigert in der den
Schweizerhof füllenden Menge. KrafFt malt das
scheinbar Kompositionslose der festlichen Momente
des Bürgertums mit einer Ueberlegen-
heit der Gestaltung, die größer ist, als sie selbst
zugibt. Vor allem auf dem reifsten Bild, der
Rückkehr von Preßburg, ist durch sparsamste
Mittel diagonaler Führungslinien in den Menschengruppen
und Architekturausschnitten die
Suggestion natürlichster Unmittelbarkeit des
Ereignisses erreicht: im Licht und in der Bewegung
, in der Wirkung des Körperlichen und
im Farbigen. Im Sonnenlicht, zu mildem Ocker
erhellt, steigen die Mauern empor, die die lebendigen
Figuren fassen. In dem prachtvollen
Schwerz, dunklem Blau und Grün blühen kräftiges
Zinnober, tiefes Kardinalrot, Zitronengelb,
starkes Blau, lichtes Rosa und alle Grade von
Braun und Grau auf, stofflich-dicht, materiellkörperlich
. KrafFt verwendete Wachsfarben.
Die Sinnlichkeit des nahen, des wirklichen Erlebnisses
verwehrte die abstrakte Kühle des
Freskos. So dringt die stoff liche Charakteristik
an Punkten zu schimmernden Glanzlichtern
auf schwerem Atlas vor, so zu dem Farbenspiel
gelb-grün changierender Seide und mit nobelster
Delikatesse steht ein lichtockerfarbenes Hutfutter
, ein heller Handschuh zu dem tiefen
Schwarz der männlichen Kleidung. Und die
Modellierung des Inkarnats, der kraftvoll-individuellen
Köpfe kennt alle Feinheiten farbiger
Schatten. Aber alle Intimität des Malerischen
bleibt der Größe des Figuralen, dem vollen Zug
des Plastisch-Körperlichen Untertan. Das Entscheidende
ist der Stand, ist die körperliche
Wucht der Gestalten, in manchen Rückenfiguren
statuarisch groß in der Festigkeit ihres
Aufbaus. Es ist das Erbe Davids, dessen Schüler
KrafFt in den Jahren 1801 —1805 in Paris
war. Der Klassizismus des Franzosen fundiert
immanent das Werk des Späteren einer rein
bürgerlichen Zeit: mit seiner Dimension, mit
seinem Pathos, mit seiner körperlichen Drastik.
Die französische Tradition weitet das Bürgerlich
-Intime zu pathetischem Ausmaß. An diesem
einzigen Punkt wuchs der deutsche Realismus
zur Größe des Wandbilds. Es war nur
im Zusammenhang mit den größeren Voraussetzungen
im Werk Davids möglich. Der
deutsche Realismus: denn KrafFt hob das klassizistisch
-strenge Ideal seines französischen Lehrers
in die bewegte Bbythmik realistischen Geschehens
und Gestaltens. Dies ist seine persönliche
Leistung, dies seine objektive geschichtliche
Tat für die österreichische Kunst: daß er
der in Füger und Lampi klassizistisch-formelhaft
erstarrten Malerei die Gewalt der Proklamation
des Franzosen brachte, die ebenso klassizistisch
als gespannt durch die souveränste
Macht realistischer Instinkte und Schöpfungen
war. Daß KralFt mit den Wandbildern in der
Hofburg dem Altwiener Realismus den groß-
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