Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 57. Band.1928
Seite: 184
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klang der Empfindung in exislentiellerem, ja
konstitutiverem Sinn als Malerei und Dichtung
. Sie ist — wenn es zu sagen erlaubt ist —
das Theater der bildenden Kunst, braucht den
Mitspieler aus dem Publikum, erlischt, wo dieser
fehlt. Und er fehlt heute. Museale Bemühungen
täuschen nicht darüber hinweg. Der heutige
Bildhauer zehrt aus seinem persönlichen Lebensgrund
, nicht gespeist, kaum gesehen und gefühlt
von seiner Zeit.

Und in solchem Heute lebt doch noch ein
Meätrovie, ein Bildhauer, der aus tiefem Volksgrund
schöpft und schafft, der sein Schaffen verschenken
darf an eine dankbare Gemeinde! Man
steht fast betroffen vor derSelbstverständlichkeit
dieses reichen Bildens. Und fragt, woraus es
quillt. Aus einem lebendigen Mythos! Ja, dies
Volk der Südslawen hat noch seinen Mythos.
Ihm war jene Katastrophe am Amselfeld, als
der stolze Herrschafts träum eines Kaisers, eines
Volkes an der brutalen Türkenmacht zerbrach,
nicht mordendes Geschick geblieben, sondern
treibendes Schicksal geworden. Erinnerung an
jene Schlacht in grauen Tagen (1389) war Mythos
geworden. Heldengedichte wuchsen auf und
die Volkssänger zogen mit der Gusla, der einsaitigen
Leier, von Dorf zu Dorf, nährten die
Sage, schürten die Flamme durch Jahrhunderte.
Sangen von Strahmic, dem Helden mit den gewaltigen
Muskeln, der furchtbar seine Feinde
erschlug, sangen von den Taten des Kraljevic
Marko, sangen auch von den gebliebenen Witwen
, ihrem Schmerz, ihrer Not um den Mann
und ihrer Stillung in fraulicher Liebe. Bis ins
Heute wuchten diese Epen nach, spannten die
Volkskraft bis zur Befreiung vom Joch der
Fremdherrschaft. Und nun die Freiheit errungen
ist, klingen sie auf zu reiner Kunst.
Ein kunstgenetisch interessanter Moment spielt
sich gerade ab: während diese durch Jahrhunderte
i n der m ündlichenUberliefer un g frei vagierenden
Gesänge heute wieder systematisch gesammelt,
von Forschern (darunter dem Deutschen Ge-
semann) entweder den Sängern abgelauscht
oder aus verschollenen, jetzt aufgefundenen
Handschriften fixiert werden, also ein interessanter
philologischer Moment der südslawischen
Literaturgeschichte, — steigen die blutvollen
Schatten der Dichtung hinüber in den Marmor,
inkarnieren sich in der plastischen Form, werden
dreidimensionale Gestalt, Skulptur, die wuchtig
auf den Plätzen der Städte aufragt: Symbol der
jetzt erst zum Treben erlösten Sage. Träger dieses

fast mystisch anmutenden Moments ist Ivan
Meät ro vie, der Künder in Stein jener alten, v olkserhaltenden
Schickale des Kosovo Polje.
Wir frugen eingangs: ist er Erbe oder Beginner.
Nun wissen wir: als Bildner ist er beides, —
Erbe eines lebendigen Mythos, wie er im Westen
längst erstorben ist, — Beginner seiner plastischen
Aussage. In der Schwebe zwischen beiden
liegt seine plastische Tat: sie war ihm vorgeformt
durch viele hundert Jahre regster,
leidenschaftlichster Volksphantasie, er hat sie
nachgebildet gemäß den Ausdrucksformen, die
ihm der Westen vermittelte. Mit dieser Feststellung
ist Macht wie Grenze dieses Bildhauers
fixiert.

Im eigenen Lande umlästern einige Zungen
dieses heroische Werk: „Metznerepigone".
Wir im Volke Metzners Beheimateten können
das nicht finden. Uns umrauscht aus diesem
Werk das ganz andere, das Fremde, Volksgewaltige
einer rassenfremden Phantasie. Mehr
noch das ganzNeueeines skulpturalenAufbruchs
von längst erloschen gewähnter Glut. Für unsern
Eindruck ist das Prim äre jenes gewaltige Wurzelgut
, das da hochschäumt, die mythengebundene
Kraft, die sich da regt. Eine Kraft, die ins Heidnische
zurückbäumt, — formale Anklänge an
hellenische Klassik sind dadurch inhaltlich gerechtfertigt
. Ja, uns scheint, daß einige Sentimentalität
, wie sie hier oft bei der Bemühung
um christliche Motive einbricht, aus solchem
urtümlichen Heidentum als dessen Sichsträuben
sich erkläre. Das heißt nicht, die Unbedenklichkeit
in Formentlehnungen zu übersehen,
wie sie hier aus dem assyrischen Kreis, aus dem
Mittelalterlichen (M oissac) und wieder aus dem
Antik-Klassischen übernimmt (letzteres bis zur
Befolgung des antiken Kanons z.B. in dem Torso
des Strahinie.) Aber solche Unbedenklichkeit ist
Wert,wo sie über echtem plastischen Empfinden
und echtem eigenen Fühlen waltet. MeStrovie
ist Plastiker vom ersten Skizzenstrich bis zum
letzten Meißelhieb. Das prellt aus der Kernmasse
heraus, wägt und gewichtet sich ein,
setzt körperlich voneinander ab, überläßt keine
Nuance dem Auge allein, sondern preßt in jede
das räumliche Empfinden hinein, bis das körperlich
Gesättigte allein sich regt, allein die Anschauung
bestimmt. (Ob Rodin seinen eigenen
Mangel an diesem Gegenbeispiel erkannte, als
er es so über die Maßen begeistert begrüßte?)
Ja, Mestrovic ist plastischer Bildner durch und
durch. Ein latenter Barock, der in ihm treibt,

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