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TSUZUBE. JAPANISCHE BILD WIRKEREI DER GEGENWART
Die Bildwirkerei Japans geht in ihren frühesten
nachweisbaren Beispielen bis in das 13. Jahrhundert
zurück. Sie beschränkt sich auf Kleinarbeiten
, Gewandteile, Einsätze der priesterlichen
Festkleidung, Riechbeutel der Damen
von Rang usw.; umfangreiche Behänge zählen
— im Gegensatze zu der Bildwirkerei Chinas —
zu den größten Seltenheilen. Die Gründe ergeben
sich unschwer aus der Eigenart der japanischen
Haus- und Wohnkultur.
Das Erblühen der modernen Bild wirkerei Japans
ist im wesentlichen als das nicht hoch genug einzuschätzende
Verdienst der von Kawashima
Jimbei in Nishijin (Kioto) begründeten Manufaktur
zu buchen, die unter erheblichen Opfern
ins Leben gerufen, in schwieriger Zeit mit zäher
Energie durchgehalten wurde.
Um es vorweg zu bemerken, die Manufaktur
Kawashimas arbeitet nach dem Verfahren des
tieflitzigen Stuhles, d. h. das Kettfach mit seinen
Werkbäumen ist horizontal gelagert; die Patrone
(Vorlage) liegt unter der Kette. Einzelheiten
zu erörtern, geht zu weit; der moderne japanische
Stuhl deckt sich, bis auf geringfügige Einzelheiten
, mit dem alten flämisch-französischen
Basse-lisse-Gezeug, das in ausführlicher Wreise
bereits im Abschnitte „Technik11 des 1923 erschienenen
i. Teiles meiner „Wandteppiche"
Besprechung fand. Weiterhin unterscheidet sich
die moderne Wirktechnik Japans von den Erzeugnissen
der großen abendländischen Werkstätten
durch das ungleich feinere Ketlfach —
die Höchstzahl der Kettfäden beträgt bei den
Gobelins etwa 7 bis g, bei der Manufaktur Kawashima
das Drei bis Vierfache —; als Material
dient nicht Wolle, sondern Seide, als Einschlaggarn
werden Seide, Gold und Silber (mit Metallfäden
umsponnene Seide, seltener reine Edelmetallfäden
) verwandt. DieFiguren werden nicht
senkrecht, sondern gleichlaufend zu dem Kettfach
gewirkt. Schon die technischen Eigenarten
bedingen gegenüber den europäischen Wirkereien
ein vollkommen geändertes Gepräge. Der
uns geläufige Bildteppichcharakter, der gerade
durch die als Rippen sich markierenden, im
fertigen Stück wagerecht verlaufenden Ketten
seine textile Eigenart erhält, tritt in der japanischen
Bildwirkerei fast völlig zurück. Geht das
Bestreben der abendländischen Werkstätten
heule fast durchgängig auf die Verminderung
der Kettfädenzahl, cl. h. auf die ausdrückliche
Betonung des technisch-textilen Gepräges, dementsprechend
auf die Auswahl der Kartons nach
dekorativem mehr dem Teppich, weniger dem
Bildteppich angepaßten Stil, so hält die japanische
Wirkerei, zum mindesten bei den figürlichen
Darstellungen, noch an dem alten, aus
China überkommenen Verfahren fest, das in
der möglichst getreuen Wiedergabe der Vorlage
das wünschenswerte Ziel erblickt. Daß der
japanische Behang nicht als trockenes, wenn
auch in kostbarstem Material und in einer unglaublich
zeitraubenden Technik ausgeführtes
Bild wirkt, das jede Teppichillusion zerstört,
liegt einesteils an der geschickten Verwendung
des Einschlages, der in Stärke und Material,
dem dargestellten Motiv entsprechend, wechselt,
d. h. eine trotz des engen Kettfaches belebte
Fläche erreicht, andernteils in der zumeist
außerordentlich geschickten Auswahl der Kartons
, die in weit höherem Maße rein dekorativ
flächig eingestellt sind als die Mehrzahl der
Vorlagen der Gobelins und anderer Manufakturen
. Daß verschiedene größere Arbeilen der
Manufaktur Kawashima unzweideutig den Einfluß
der Pariser Staatsmanufaktur verraten,
kann nicht sonderlich wundernehmen, da
Kawashima Jimbei, der Gründer, eifrige Studien
inden Gobelins trieb,dieihren charakteristischen
Niederschlag in den prächtigen Jagden nach
Azai Chu finden, die, 1911 gewirkt, in den Besitz
des kaiserlich japanischen tlofministeriums
übergingen. Daß Kawashima seine Anregungen
bei Oudrys Jagden Ludwigs XV. suchte,
ist trotz des geänderten Charakters unschwer
ersichtlich; auch der Kettfaden ist im Gegensatze
zu den ausgesprochen japanischen Motiven
weit gröber gewählt. Die nach alljapani-
schenBrokatmustern zusammen gestelltepracht-
volle Bordüre will mit der Bilddarstellung, die
sich technisch und künstlerisch durchaus mit
den Erzeugnissen der Gobelins und der Manufaktur
Beauvais messen kann, die in der empfindsamen
Behandlung des Laubwerkes einen
besonderen Vorzug besitzt, nicht recht zusammengehen
. Wählen wir als charakteristisches
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