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Gegenstück ein typisch japanisches Motiv, den
wundervollen, 1906 nach Morizumi Yugio gewirkten
Behang, der in so charakteristisch erzählender
Form das Auslüften der nicht kriegerischen
häuslichen Gebrauchsgegenstände —
Kleider, Stoffe, Bücher — schildert, so klingt
die Eigenart der modernen japanischen Bildwirkerei
weit stärker und reiner. Trotz der in
den geöffneten Wohnräumen zahllos gehäuften
Dinge wirkt die Szene voll intimen Reizes
und durchaus nicht unruhig; die Uberführung
der Dachverfallung in die weich erfaßten Zonen
des Himmels, der Ubergang zum Gelände, die
seitliche Rahmung durch Baumschlag und blühendes
Gesträuch lassen das Haus mit seinem
reizvollen Bunt um so kräftiger und zugleich
einheitlicher in Erscheinung treten. Die Bordüre
markiert allzu deutlich den Rahmen; der
Versuch einer Verschmelzung von Fassung und
Motiv — das Bestreben der flämischen Bildwirker
vornehmlich im 17. und 18. Jahrhundert
— tritt in keinem Falle in Erscheinung. Der
Teppich mißt in der Höhe 2,88 m, in der
Länge 3,64 m. Er entstand als Gegenstück zu
dem von der Pariser Weltausstellung (1900)
her bekannt gewordenen Behang, der die kriegerische
Ausrüstung Alt-Japans in ähnlicher
Auffassung zur Schau stellt.
Die gewaltsame Häufung von menschlichen
Gestalten, die in dem Festzug vor dem Yöme-
Tor (Nikkö-Tempel) ihren charakteristischen
Ausdruck findet — iSgi gewirkt, etwa 1000
Figuren, Höhe 3,33 m, Länge 7,27 m — ist in
den späteren Arbeiten der Manufaktur, nicht
zum Schaden der Behänge, vermieden, zum
mindesten abgeschwächt worden. Im übrigen
ist die Bordüre des „Festzuges vor dem
Yomemon" von besonderem Reiz; dem rautenförmig
gegliederten Brokatmuster sind äußerst
delikat erfaßte Wappenembleme und Vertreter
der Tierwelt (Paradiesvögel usw.) aufgelegt.
Es führt natürlich zu weit, auf die Gesamtproduktion
der Manufaktur Kawashimas, allein
in den großen Behängen, im einzelnen einzugehen
: diealtjapanische Jagdszene „Inuoomono",
das kaiserliche Fest „ Aoimatsuri", zwei Kake-
monos mit den symbolischen Vögeln Kirin und
H06, der Einfall der Mongolen in Japan usw.
Die Mehrzahl der Stücke befindet sich im Besitze
des kaiserlich japanischen Hauses, das in
wahrhaft großzügiger Weise das Unternehmen
stützte und förderte, das in berechtigtem Stolze
besonders charakteristische Arbeiten befreundeten
Regierungen als kostbarstes Geschenk überwies
.
Zu den schönsten Arbeiten aus den letzten
Jahren der Manufaktur (1923) zählen zwei zusammengehörige
Behänge, die „Jagd mit Falken
im Frühlingsgelände" und die „Ahornblätterschau
im Herbstgarten", beide, nach den Entwürfen
von Sawabe Zuikei, für den kaiserlichen
Hof gewirkt. In die Gliederung des bergigen
Geländes mit dem äußerst stimmungsvollen
Baumschlag fügt sich zwanglos die bewegte Jagdgruppe
. Noch glücklicher ist die Herbstlandschal
t mit der elegant geschwungenen Brücke
und den festlichen Booten gelöst. Die sorgfältig
und kräftig erfaßten Brokatgewänder stehen
in wundervollem Gegensatz zu dem zarten
Spiel der Wellen. Die Bordüre wirkt in dem
fortlaufenden Muster weit einheitlicher; sie faßt
die Bilddarstellungen, ohne durch divergierende
Motive sich störend bemerkbar zu machen.
Handelte es sich bei den bislang besprochenen
Beispielen um Behänge mit mehr oder weniger
ausgesprochen figürlichem Charakter, so stellen
die rein dekorativen Arbeilen Kawashimas ein
Sondergebiet dar, das seinen stärksten Ausdruck
findet in einer 1911 im Auftrage des Kaisers
begonnenen, für den Friedenspalast im Haag
bestimmten Gesamtzimmerausstattung: sechs
Wrandbehänge und drei Uberfensterstücke. Die
Entwürfe stammen von dem Kiotoer Landschaftsmaler
Kikuchi Hobun, der die umfangreiche
Arbeit unter Mithilfe seiner Schüler, in
erster Linie Yamada K6uns, in Angriff nahm.
Der Komposition liegt der reizvolle Gedanke
zugrunde, den japanischen Frühling mit seiner
farbensprühenden Pflanzen- und Vogelwelt in
idealer Gestalt unaufdringlich zur Darstellung
zu bringen. Blühender Baumschlag und Gesträuch
—Kirsche, Glyzine, Kashiwa Japanische
Eiche (Quercus den lata), Magnolie, Azalee,
Gingko (Salisburia adiantifolia) usw. — vermählen
ihr leuchtendes Bunt mit den zarten
Tönen des Himmels; Pflanzenstauden—Lilien,
Mohn, Hiöghi (Belamcanda chin. DC), Akelei,
I^öwenzahn, Päonie (Paeonia albiflora, Pall.),
Dotterblume — entsprießen dem Boden und
spiegeln sich in ruhigem Gewässer; der Pfau
spreizt sein Gefieder, Fasane, Tauben, Schwalben
schwirren im Blau; über dem Ganzen liegt
ein zarler, froh gestimmter Hauch. In noch
weit höherem Maße als in den großen figürlichen
Teppichen ist der Wirker bestrebt gewesen
, der Eigenart des Landschaftsbildes ge-
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