Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 60. Band.1929
Seite: 112
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DREISSIG JAHRE DEUTSCHE WERKSTÄTTEN

Leislung,Enlwicklung,innere und äußere Wandlung
, Aufstieg, Umkehr, Anpassung an soziale
und wirtschaftlicheVerhältnissederZeit,Führer-
schaft und Exponent-Sein des Qualitätsgedan-
kens — was alles drängt sich zu und drängt zur
Äußerung, zum wechselseitigen In-Beziehung-
Setzen, wenn man die drei Jahrzehnte der Existenz
der Deutschen Werkstätten überblickt!
Ein Buch müßte man der Lebens- und Arbeitsgeschichte
dieses Werkes widmen, und ganz gewiß
wäre es eines der interessantesten und aufschlußreichsten
, der am weitesten auswirkenden,
die in unserer Zeit zur Wirtschafts- und Kunstgeschichte
geschrieben werden könnten. Diese
Tatsache beruht nicht nur darauf, daß das
Bekenntnis zum Gedanken der Qualitätsarbeit
und der Veredelung gewerblicher Arbeit durch
den Hinzutritt der Kunst, der „Durchgeistigung
der deutschen Arbeit", um eine Begriffsbildung
Friedrich Naumanns zu gebrauchen, bei den
Deutschen Werkstätten zur fröhlichen Tat geworden
ist, sie beruht auch auf den Zeitumständen
, auf der allgemeinen Stilentwicklung, auf den
umwälzenden Ereignissen auf dem Gebiet der
Form und des Wohnungswesens, die in diesen
dreißig Jahren vor sich gingen.
Man denke an 1898 zurück! Es ist das Jahr, in
dem Karl Schmidt in Laubegast bei Dresden
ein kunstgewerbliches Institut gründete, dem er
den für jene Zeit ungewohnt neuartigen Titel
„Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst"
beilegte. Dies war aber mehr als nur eine originelle
Bezeichnung: es war das Programm zu
Sachlichkeit und Ehrlichkeit, zu geschmacklich
geläutertem Handwerk, das sich nicht durch ein
pseudokünstlerisches Draperien-Tapezierertum
verdunkeln läßt, sondern sich aufrichtig zum
Material, zur Gediegenheit der Form, zur soliden
Werkarbeit bekennt. Man muß sich nur
einmal erinnern, was im Jahr 1898 „Mode" war:
Jegliche Stil-Maskerade: Rokoko alaLinderhof,
billig imitierte deutsche Renaissance in getäfelten
Zimmern mit sogenannten „altdeutschen"
Möbeln; Makart buketts und verlogene Attrappen
auf der ganzen Linie.

In diese stilwidrigen Scheußlichkeiten, in diese
Verzerrungen einstmals edler Formen haben die
Dresdener Werkstätten Karl Schmidts breite
Bresche gelegt. Denn als mit ihrem Vorgang
und durch ihr Vorbild eine Bewegung in Fluß

gekommen war, die klare sachliche Erkenntnisse
aus der Wohnkultur Englands, Belgiens und
Hollands auf deutsche Verhältnisse übertrug
und dem deutschen Bedürfnis anpaßte, stand
Karl Schmidt mit seinem wachsenden Institut
bald nicht mehr allein als Rufer im Streit. Besonders
im deutschen Süden, in München und
Wien, fand er Resonanz und gleichgestimmte
Seelen. Die unter der Leitung von Karl Bertsch,
Niemeyer und Beckerath stehenden Münchner
Werkstätten für Wohnungseinrichtung schlössen
sich 1907 mit Schmidts Dresdener Werkstätten
zusammen: Richard Riemerschmid
kann man wohl als das Bindeglied zwischen den
beiden Unternehmungen ansehen, und die unvergeßliche
, überaus befruchtende große deutsche
Ausstellung für angewandte Kunst 1906
in Dresden gab den unmittelbaren Anstoß. Es
ist auch vielleicht mehr als Zufall, daß im Jahre
des Zusammenschlusses der Deutschen Werkstätten
, 1907, in München der „Deutsche Werkbund
" gegründet wurde, der 1908 mit seiner
ersten größten Jahresversammlung so bedeutungsvoll
in die Öffentlichkeit trat, jene große,
schicksalsvolle Verbindung von Kunst, Industrie
und Handwerk, bei der führende Männer
und nächste Freunde und Mitarbeiter der Deutschen
Werkstätten stets tonangebend waren.
Uber den Krieg und das wirtschaftliche Tief
hinweg sind die Deutschen Werkstätten, die jetzt
in Hellerau bei Dresden und auf der Birkenleiten
bei München ihre Produktionswerkstätten, die
in Berlin, München und Dresden eigene Verkaufsstellen
und in allen großen deutschen
Städten Vertretungen haben, ihren Weg weitergegangen
mit der inneren Ruhe des guten
künstlerischen und werklichen Gewissens. Die
Maschine ist schließlich auch in ihren Betrieben
ein Faktor geworden, der die tlandarbeit überwog
und ihr überall dort die Leistung abnahm,
wo es ohne Stilwidrigkeit und ohne Schädigung
der Qualitätsarbeit geschehen konnte. Und auch
der Weg zur „Neuen Wohnung", etwa wie sie
auf dem Weißenhof bei Stuttgart in Erscheinung
tritt als Bau- und Wohngesinnung, als unaufhaltsamer
Zeitausdruck, mit dem sich besonders
die jüngere Generation fanatisch identifiziert,
wurde erfolgreich eingeschlagen. Indes bestehen
blieb der Grundsatz: Nichts darf aus den YY erk-
stätten hinausgehen, das nicht künstlerisch wert-

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