Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 60. Band.1929
Seite: 150
(PDF, 75 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_60_1929/0190
lehnen wir instinktiv diesen Wettkämpf der
Stickerei mit der Malerei ab? Warum empfinden
wir derlei Erzeugnisse wie Zwittererscheinungen
, die aus zwei Reichen borgen und in
keinem wirklich verwurzelt sind? Ist es nur
unsere Bequemlichkeit, unser Haften an der
europäischen Gewohnheit, die nun mal reine
Bildkunst nur im Schaffen mit Stift und Pinsel
anerkennen will und sich weigert, neue bildnerische
Methoden zuzugestehen. Denn objektiv
gedacht: warum sollte die Darstellung des Räumlichen
auf der Fläche — und das ist doch das
Grundproblem der Bildkunst! — warum sollte
sie nicht durch farbige Fäden ebensogut erreicht
werden, als durch Auftragung der bloßen Farbe
auf Holz oder Leinwand. Warum sträuben wir
uns gegen dieseSonderart,noch dazueineSonder-
art, die so außerordentlich viel manuelles Geschick
voraussetzt wie die Stickerei, die sich an
Bildvorwürfe wagt? Eine ideale Bildstickerei
müßte uns logischerweise doch ganz gleich entzücken
wie eine ideale Bildmalerei!
Was wäre eine ideale Bildstickerei? Es wäre
eine Stickerei, in der der Materialcharakter der
verwandten Technik — der Stichlagen, der
Glanzebenen usw. — vollkommen in die Bildwirkung
aufgegangen ist. Ebenso, wie in einer
idealen Bildmalerei der Materialcharakter der
aufgewendeten Technik — der Ölfarbe, des
Pinselstriches usw. — vollkommen in die ßild-
wirkung aufgegangen sein muß. Und da steckt
— so will es uns scheinen — die Hemmung.
Die in der Stickerei verwendeten Materialien
gehen eben nie so restlos in eine entmaterialisierte
Bildwirkung ein, wie dies bei den schwer-
gewichtsloseren Materialien der Malerei und
der Zeichnung der Fall ist.
Man wird einwenden, daß das in der Skulptur
verwandte Material — die Bronze, der Stein —
doch viel resistenter der Einfügung ins durchgeistigte
Gebilde sei als die feinen Seidenfäden

der Stickerei. Zugegeben! Jedoch: sie gehen
direkt in den ihnen gemäßen bildnerischen Ausdruck
ein, ohne Z wischen.^chiebung einer Mittelschicht
, die — schon enthoben der Herkunft
und doch nicht geborgen im Ziel — dies eigentümliche
Zwit terwesen der Bildstickerei verursacht
— jedenfalls für unser europäisches Empfinden
! — Bleibt der Stickerei noch der Ausweg
ins Relief (den sie denn auch meist einschlägt
und geradein ihren Höhezeilen eingeschlagen
hat: Reliefslickerei des Mittelalters!). Hier aber
wird nun der Zwischencharakter zwischen
Malerei und Skulptur aufdringlich deutlich und
die ganzen damit heraufbeschworenen Probleme
— das Gegeneinander von Lokalfarbe und
Schatteneinfall z. B., der bei dem meist beweglichen
Aufstellungsort von derlei Stickereien
unvermeidlich ist — drängen in ihrer Unlös-
barkeit unweigerlich die Stickerei ab vom reinen
Kunstschaffen (worin sich denn auch die meist
„kunstgewerbliche" Verwendung auch solch
hoher Stickereikunstim Millelall erz. B. erklärt).
So dürfte deutlich geworden sein, was unsern
zwiespältigen Eindruck vor aller Bildslickerei
verursacht. Aber war es die zwischen Material
und Idee sich einschiebende Zwischenschicht der
Wirkungsfähigkeit, die alles „Bildsticken" illusorisch
erscheinen ließ, so ist es doch auch wieder
eben diese Zwischenschicht, die der Stickerei ihre
eigentlichen Möglichkeilen weisen muß. Zwischen
Material und fdee steht das Phantastische.
Und da es immer ans Material gebunden bleibt,
drängt es über das Vegetative hinaus, dringt tiefer:
ins Ornament. Daß hier sein Reich sich auftut,
hat der unbewußt schallende Slickkünstler seit
je gespürt. Und daß es gerade die StolTgebunden-
heit ist, die solche Ornamentkunst mit Magie
zu füllen weiß, das macht das Geheimnis
des Ornamentalen aus und in unserm Fall die
berückende Wirkung mancher Stickerei.

Dr. Oskar Schürer

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