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Walter Vetter:
Die Gerichtslaube und Freiburgs Geschichte —
Gedanken aus dem Jahre 1969
Neuere Untersuchungen des Freiburger Stadtarchivdirektors Dr. Berent Schwineköper haben
die entscheidende Rolle der Gerichtslaube für die bürgerliche Selbstverwaltung der Stadt im
ausgehenden Mittelalter bestätigt und erweitert. Wenngleich im Zuge dieser Forschungen
wohl der Name Ratslaube" besser geeignet erscheint, die frühere Funktion des Gebäudes
zu charakterisieren, so ist doch nicht zu übersehen, daß die „Ratslaube" ihrer Bedeutung
nach der profane Gegenpol zum Münster darstellte.
Es ist daher für die Selbstdarsteilung der Stadt und ihrer Bürger und die Achtung vor ihrer
geschichtlichen Vergangenheit ein entscheidendes Zeugnis, wenn im Rahmen der 850-Jahr-
Feier der Stadt Freiburg auch endgültig über die Verwendung des wiederaufgebauten Anwesens
entschieden wird. Maßgebende Vereinigungen der Burgerschaft, vom „Kuratorium
Gerichtslaube" angefangen bis zu berufsständischen Organisationen, haben die ideelle und
materielle Vorarbeit in janrelangem Ringen geleistet. Dabei soll das entscheidende Verdienst
des damaligen Denkmalpflegers Rudi Keller nicht geschmälert werden, der vor bald einem
Jahrzennt aatür sorgte, aaU wenigstens die Ruinen tür einen Wiederaufbau konserviert werden
konnten.
Es spricht nicht für den Geist mancher, die nun die Entscheidung für einen Neuaufbau zu
fällen haben, daß man einen positiven Beschluß von einer Entscheidung über einen merkantilen
Verwendungszweck abhängig machen will. Sicher ist es kein schlechter Gedanke, wenn
man die künftige Unterbringung aes Standesamtes oder anderer Behörden denkt. Man sollte
jeaoch nicht aus aem Auge verlieren, daß nicht die Verwaltung einziges und oberstes Gebot
eines Stadtregimentes sein soll, sondern daß es auch die Präsenz oer kulturellen Aussage
und Ausstrahlung ihrer Bürger zu vertreten hat.
Gerade der Wiederaufbau der „Rats- oder Gerichtslaube" böte für die Stadt die Möglichkeit,
eine ihrer Tradition entsprechenden Präsenz durch hinrichtung eines „Stadtgeschichtlichen
Museums" zu schaffen. Andere Städte vergleichbarer Struktur —wie beispielsweise Regensburg
— venügen auch über eine Stätte, die die geschichtliche Entwicklung der Stadt und
ihrer Bürger von der Gründung bis zur heutigen Zeit anhand von urkundlichen Belegen,
musealen hrinnerungsstücken, Plänen, Modellen, Karten und Fotografien dem Betrachter
vor Augen führt, und damit die Integrierung von bewährtem Alten in neue Aspekte und Planungen
dokumentiert.
Sicher ist es auch nicht abwegig, für die nähere Zukunft daran zu denken, die Sammlung
moderner Gemälde und Plastmen des Augustinermuseums zu erweitern und jederzeit zugänglich
unterzubringen. Zur Zeit müssen diese bedeutenden Gegenstände neuer Kunst am
Ooerrnein bei Wechselausstellungen abgehängt werden, so daß sie dem interessierten einheimischen
und auswärtigen Besucher bei einem Uberblick über das jahrhundertelange
Kunstschaffen am Oberrhein fehlen. Wenn man die Ratslaube nur für eine museale Verwendung
vorsehen will, so böte sich Gelegenheit, sowohl die „Moderne Galerie" als auch das
„Stadtgeschichtliche Museum" in jeweils einem Geschoß unterzubringen, zumal die beleuch-
tungsmaßigen Voraussetzungen künstlich geschaffen werden können. Auch bei einer „wirtschaftlichen
" Nutzung des Gebäudes ließe sich auf einer Etage wenigstens einer dieser Vorschläge
verwirklichen.
Bei allen diesen Überlegungen sollte man aber bedenken, daß sie zur Aktivierung des innerstädtischen
Lebens beitragen sollen; d. h., die Öffnungszeiten müssen den Bedürfnissen auch
des arbeitenden Menschen angepaßt sein. Daher wäre es verfehlt, diese Sammlungen bereits
um 17 Uhr zu schließen, wie das Augustinermuseum dies im Moment tut. Zum Zusammenklang
wirtschaftlichen und kulturellen Lebens trägt diese Maßnahme sicher nicht bei, worüber
auch eine einmal in der Woche bis 22 Uhr verlängerte Öffnungszeit nicht hinwegtäuschen
sollte. Die Museen anderer Städte sind teilweise ständig bis in die Abendstunden hinein geöffnet
und erfreuen sich gerade in jenen Stunden steigender Beliebtheit. Wenn wir die Altstadt
mit kulturellem und wirtschaftlichem Leben erfüllen, bzw. die Aktivität und Attraktivität
erhalten wollen, so muß man auch den kleinen Komponenten, die dazu beitragen können, die
notwendige Beachtung schenken.
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„Die Stadt ist die Wachstumsspitze der Hochkulturen. In der Stadt vollzieht sich die agonale Kooperation
der durch die Uberschichtung und ihre konzentrierten Herrschaftszentren freigesetzten Spezialisten
. Stadtbildung ist die unumgänglich notwendige Voraussetzung für die Entstehung jeder
Hochkultur. Die Stadt ist das typische Produktionszentrum aller Hochkulturen. Alle Hochkultur ist
Stadtkultur". Alexander Rüstow in
„Ortsbestimmung der Gegenwart"
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