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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/fr_stadtbild_1992-09/0140
der kirchlichen Reformbewegung und - wie Erasmus - wandte auch er sich später um so
entschiedener von den Reformatoren ab, um der alten Kirche treu zu bleiben.

Einen ersten Höhepunkt im Leben Glareans bedeutete der Reichstag zu Köln im Sommer
1512. Nachdem Glarean am 25. August ein eigenes Lobgedicht auf Kaiser Maximilian I.
vorgetragen hatte, wurde er vom Kaiser mit einem Lorbeerkranz zum »Poeta laureatus«
gekrönt. Bald darauf erhielt er einen Ruf an die Universität Basel. Zugleich mit dem Beginn
seiner Basler Lehrtätigkeit gründete er auch eine Studenten-Burse, also ein Art von akademischem
Internat, in dem er auch selber wohnte. So blieb der persönliche Kontakt zu seinen
Studenten auch über die bloßen Unterrichtsstunden hinaus gewährleistet. Und ganz
gewiß wurde dort auch gemeinsam musiziert. Das Wesen des »Collegium musicum« hat
hier einen seiner Ursprünge.

An dieser Stelle unterbreche ich meinen Bericht über das Leben des Heinrich Glarean für
einen Augenblick, um noch ein wenig auf die Idee der studentischen Burse zu sprechen zu
kommen. Die von Glarean und vielen seiner Zeitgenossen vertretene Vorstellung, daß die
menschliche Bildung und Formung der anvertrauten Schüler genau so wichtig sei wie die
bloße Wissensvermittlung, war ein eminent humanistischer Gedanke. Dieser Gedanke bestimmte
die Ziele des Humanismus von Anfang an, also seit der Neugründung der »Platonischen
Akademie« durch Cosimo de Medici »il Vecchio« zu Florenz im Jahre 1459. Dem
»humanista«, also dem akademischen Lehrer, der sich in seinem Bildungskanon auf das
Wissen der Antike stützte, kam es nicht auf die bloße Weitergabe eines systematisch geordneten
Wissensstoffes an, sondern auf die Gewinnung dessen, was man im antiken
Griechenland die »Kalokagathia« nannte, das heißt: die Heranbildung des jungen Menschen
zu einem Wesen, das sowohl geistig wie körperlich und musisch einen hohen Grad
der Ausbildung erreicht und bei dem eben diese Eigenschaften in einem ausgewogenen
Verhältnis zueinander stehen. Im Worte »kalokagathos« ist neben dem ethischen Moment
(»agathos«) auch das ästhetische angesprochen, nämlich in dem Wortbestandteil »kalos«.
Beides, das Ethische und das Schöne, gehörte für den Griechen und für den Humanisten
der europäischen Renaissance unabdingbar zusammen. Auch von hierher erklärt sich der
hohe Rang der Musik und ihre Bedeutung für die akademische Erziehung. Denn die Musik
erzog sowohl zu einer sittlichen Lebenshaltung als auch zu einem an ästhetischen Maßstäben
ausgerichteten Lebensstil. Darüberhinaus spielten musikalische Aspekte auch für
die Rhetorik und damit für den angehenden Theologen und Juristen eine nicht zu unterschätzende
Rolle. Die Kunst des richtigen, affekthaften Sprechens mit seinen metrischen
und rhythmischen Komponenten wurde stets auch als etwas Musikalisches aufgefaßt, und
zwar sowohl im alten Athen als auch im antiken Rom und damit auch in der akademischen
Bildung der Renaissance.

Die akademische Burse des Henricus Glareanus war also nicht einfach ein Studentenwohnheim
im heutigen Sinne, kein Wohn-Container ä la Sundgauallee, sondern ein Ort, an
dem Lehrende und Lernende zusammenkamen, um nach dem Vorbild der Adademien eines
Sokrates, eines Piaton oder eines Aristoteles in gemeinsamem Gespräch Erkenntnisse
zu erwerben, zugleich aber beim gemeinsamen Musizieren die schöne Muße zu pflegen,
um so zu einer wahren, den ganzen Menschen erreichenden und ihn erfüllenden Bildung
zu gelangen. So wie man die antiken Autoritäten nicht nur als Wissensquelle verstand,
sondern sie zugleich in ihrer ganzen Lebensfülle, kurz: als »Freunde«, erlebte, so lebten

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