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Sitte und Brauch.
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sprung.1) Aber auch unter diesen sekundären sind diejenigen
für die Erforschung des Ursprungs (und damit der Bedeutung
) einer Sitte von grösstem Wert, deren Einfluss ein derartig
bestimmender ist, dass durch ihn eine Sitte, welche
ihrer Natur nach ursprünglich nur vereinzelt oder in verschiedenen
Formen aufzutreten vermochte, zu allgemeinerer
Ausübung gelangt. Erst unter diese sekundären Beweggründe
sind zumeist auch die religiösen Motive zu zählen,2)
ohne dass jedoch dadurch ihre Bedeutung herabgesetzt oder
unterschätzt würde, denn das bleibt bestehen, dass erst
durch sie die Sitte ihre verpflichtende Kraft und damit die
Gewähr ihres Fortbestandes erhält.3) So ist dem Forscher
die Möglichkeit gegeben, durch Untersuchung der den
einzelnen Sitten zu Grunde liegenden Ursachen oder ursächlich
wirkenden Vorstellungen nicht nur den Ursprung der
Sitten festzustellen, sondern auch zugleich zurückzuschliessen
auf Zustände und Vorstellungen einer Zeit, da diese Sitten
und Bräuche entstanden sind.
Somit erscheint es als ein durchaus empfehlenswerter
"Weg, behufs Erforschung der religiösen und kulturellen
Zustände einer prähistorischen Zeit vor allem danach zu
fragen: welche Sitten und Bräuche sind aus dieser Zeit
erhalten geblieben, und aus welchen Vorstellungen sind dieselben
erwachsen ? An einer ganz bestimmten Gruppe solcher
Bräuche, welche sich nämlich auf Seele und Tod beziehen,
und die nach Meinung vieler Forscher einen Totenkult
zum Ausdruck bringen, will die vorliegende Untersuchung
prüfen, inwieweit das Geschichtsbild der neueren alttesta-
x) Vgl. das Beispiel der Witwenverbrennung mit der alten groben
und der späteren sittlichen Motivierung bei I h e r i n g, Vorgesch. 49 ff.
2) Gegen Wundt, Eth. 93.
3) Dieses gegen Schurz a. a. 0. 13 f.
Frey, Tod, Seelenglaube u. Seelenkult. 2
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