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Verhältnis von Seeleuglaube und Seeleukult.
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ters kann nämlich nicht in der Weise erfolgen, dass die betreffende
Sitte bloss eine restitutio in den status quo ante
erfährt, denn die erlittenen Modifikationen werden wahrnehmbar
bleiben müssen, da der neue Beweggrund ja auch
nicht identisch ist mit dem ursprünglichen. Ist z. B. eine
Sitte wie das Leichenmahl aus der Erwartung einer Wiederbelebung
des Toten geflossen und unter dem Einfluss des
Seelenkultes sodann zu einer diesem entsprechenden kultischen
Form gelangt, so wird, wenn letztere mit dem
Seelenkult schwindet, sie doch nicht wieder eine Form annehmen
können, welche nur die Erwartung einer Wiederbelebung
, die ja gar nicht mehr vorhanden ist und sich
auch nicht wieder eingestellt haben kann, zum Ausdruck
zu bringen im stände ist, sondern vielmehr nur eine dem
jetzt gegebenen Zweck entsprechende Modifikation an sich
erfahren. Dadurch ist der Forscher in den Stand gesetzt zu
eruieren, ob eine Sitte einmal in Beziehung zu Seelenkult
. gestanden hat, oder ob ihre Entwickelung auf einer anderen
Linie verlaufen ist.
Das letztere wird in dem Falle anzunehmen sein, wenn
die Form einer Sitte in der historischen Zeit aus ihrer als
ursprünglich anzunehmenden Form nur dadurch erklärbar
gemacht werden kann, dass kein Seelenkult auf dieselbe Einfluss
gewonnen hat. Das wird insbesondere deutlich an den
durch das Aufkommen von Hadesvorstellungen beeinflussten
Modifikationen der Sitten. Obgleich die Hadesvorstellung sich
mit einem Seelenkult nicht verträgt, wird bei denjenigen
Völkern, welche auf einer früheren Stufe der Entwickelung
einen Seelenkult gehabt haben, auch jetzt noch der besondere
kultische Charakter der auf die im Hades weilenden Seelen
Bezug habenden Bräuche nicht völlig verloren gegangen
sein, sondern sich in diesem oder jenem Zuge zu erkennen
geben, während bei anderen Völkern keine Spur von solchem
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