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Zweites Buch. Zweites Kapitel. Was System ist, über die Namen der Modi etc.
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haben. Denn weil in' der Konsonanz Quarte es vier Saiten giebt und drei Zwischenräume,
so ergeben sich drei Lagen von Halbtönen mit je zwei Tönen. In der Quinte bewirken die
fünf Saiten und vier Zwischenräume ebenso vier Lagen» von Halbtönen mit je drei Tönen.
In der Oktave endlich, weil darin acht Klänge oder Stimmen sind und sieben Zwischenräume,
wechseln siebenmal je zwei Halbtöne mit je fünf Tönen ihre Lage; so grofs ist in" der Dia-
tonik die Bedeutung der Halbtöne, die doch die Geringeren sind. Daher irren die nicht wenig,
welche unseren 8. Modus von dem 1. Modus der Natur nach trennen, da doch die Oktavengattung
beider Modi dieselbe ist, nämlich die vierte. Aber dieses später deutlicher.
Zweites Kapitel.
Was System ist, über die Namen der Modi und welcher Modus einer jeden Oktavengattung
passend ist.
Die alten Griechen verstanden unter Tropen, System, Harmonie ein und dasselbe; die
Lateiner sagen Modus und Constitutio. Boethius lib. 4, Kap. 14 sagt: „Die Constitutio ist
gleichsam der volle Inhalt der abgemessenen Töne, bestehend in der Verbindung der Konsonanzen
, wie z. B. Oktave oder Quinte und Quarte oder.Doppeloktave. Die Oktave ist die
Constitutio von Proslambanomenos bis Mese, mit Hinzuzählung der dazwischenliegenden .Stimmen
, oder von Mese bis Nete hyperbolaeon, mit den dazwischenliegenden Stimmen. Die
Doppeloktave ersieht man von Proslambanomenos bis Nete hyperbolaeon mit den dazwischenliegenden
Stimmen. Wenn daher jemand die sieben Oktavengattungen, welche von Proslambanomenos
bis Paranete hyperbolaeon (d. i. von A bis g) vorkommen, nach der Höhe oder nach
der Tiefe hin nimmt, so bringt er von Proslambanomenos (d. i. von A) aus nach der Höhe hin
sieben Modi hervor, deren Namen sind: Hypodorius, Hypophrygius, Hypolydius, Dorius, Phry-
gius, Lydius und Mixolydius." So ungefähr nach Boethius. Doch dieses müssen wir ausführlicher
erklären, denn von Proslambanomenos bis Mese, d. i. nach der Tonleiter des Guido von A bis a,
wird der Modus Hypodorius genannt, welcher der tiefste ist von allen; weiter von Hypate
hypaton nach Paramese, d. i. B bis kj,. ist der Modus Hypophrygius; von Parhypate hypaton
zu Trite diezeugmenon, d. i. von C zu c, der Hypolydius; von Lichanos hypaton bis Paranete
diezeugmenon, d. i. von D zu d, der Dorius; von Hypate meson bis Nete diezeugmenon
, d. i. von E zu e, der Phrygius;' von Parhypate meson bis Trite hyperbolaeon, d. i. von
F zu /, der Lydius; von Lichanos meson in Paranete hyperbolaeon, d. i. von G bis g, der
Mixolydius. Dieses sind die Oktavengattungen, worauf die ganze Sache beruht, welche jedoch
die Doppeloktave, das gröfste System in der Musik, nicht ausfüllen, sondern einen Ton fehlen
lassen. Ptolemäus, der dieses einsah, fügte ein System von Mese in Nete hyperbolaeon, d. i.
von a zu dem verdoppelten Aa hinzu, welches von Natur mit dem ersten, d. i. dem des Hypodorius
übereinstimmt, und richtete so den achten Modus ein, der sich vom Hypodorius nicht
unterscheidet, den er aber Hypermixolydius nannte. Auf diese Weise ist der ganze Umfang
der Doppeloktave ausgefüllt worden, deren tiefste Saite Proslambanomenos und deren höchste
Nete ist. Über die verdoppelte Mese werden wir sogleich sprechen. Ebenso haben je zwei
Modi eine gemeinsame Quinte. Es ist dieses aber die einfache und einförmige Ordnung ohne
das Tetrachord Synemmenon; und es giebt durchaus kein Liedchen, das nicht in eine Formel
dieser Modi fiele: Denn die Gesänge, welche heute das Tetrachord Synemmenon mit Mese
vereinigen, waren einst in der Oktavengattung von C bis c eingerichtet, wie wir in dem vorigen
Buche gesagt haben.
Hierfür diene folgende Abbildung.
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