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Es entsteht aber hier sofort die Frage, wie das eigenthüm-
liche Verfahren der Benutzung' sich erklären lasse. Am nächsten
liegt wohl die Antwort, dass es in dem Unzulänglichen
der Nachrichten des justinischen Syntagma für jene valenti-
nianischen Ketzereien seinen Grund hat und in der That lässt
sich diese Hypothese durch gewichtige Gründe stützen. Schon
jene Stelle Apol. I, 26 legt es nahe, dass Justin ausführlich
und genau nur den Simon, Menander, Marcion behandelt hat,
während die übrigen als nävreg ol dito tovtcov ög/nco/uevoi kürzer
behandelt waren ; weiter aber vergleiche man die Aeusse-
rung des Irenaeus Praef. 2 ad lib. IV, wo er sagt, dass seine
Vorgänger auf dem Gebiete der Bestreitung der valentinianischen
Häresie ihrer Aufgabe nicht genügt hätten, quia ignorabant
regulam ipsorum. Es wird also nicht zu kühn sein, zu behaupten
, Tertullian habe sich deshalb für die Darstellung jener
Systeme nach anderen Quellen umgesehen, weil ihm die justinischen
Nachrichten ungenügend erschienen. Aber auch nur in
seiner Schrift gegen die Valentinianer schliesst er sich eng an
Irenaeus an: in allen übrigen Schriften kommt kein Name eines
Häretikers der valentinianischen Schule neben dem des
Meisters selbst vor. Wir können also unsere Quellenkritik
Tertullian's hier mit dem Resultate beschliessen: Tertullian
hält sich, wo er Lehren von Häretikern mittheilen
will, die ihm selbst aus eigener Erfahrung oder aus
der allgemein im Schwange gellenden Kunde nicht
bekannt waren, an den Justin und geht Uber den
Kreis der von diesem Kirchenvater bekämpften
Häresieen nicht hinaus; nur da. wo er Genaueres über
diese berichten will und i h m J u s t i n 's A n ga b e n nicht
ausreichend zu se in sch e inen, greift er zu Irenaeus:
bei Valentin nämlich und seiner Schule.
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