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Einleitung.
sonst trotz seiner Anstrengung nicht zur "Verkürzung kommen lassen, und umgekehrt
wenn, sobald uns nichts mehr an seiner Verkürzung liegt und wir
seine Anstrengung ruhen lassen, überhaupt noch irgend eine Kraft da ist, die
ihn wieder ausdehnt.
Daraus folgt nun aber nicht, dass immer mit Anstrengung oder thätigem
Zustande des Muskels, auch Verkürzung, oder mit dem Aufhören dieser seiner
Activität, auch Verlängerung verbunden sein muss. Denn immer bleibt er in
beiden Zuständen noch elastisch und zwar in demselben Längenmasse der
Differenz von Dehnung und Verkürzung. Er wird oder bleibt auch im Zustande
der Activität gedehnt, wenn die Kraft die es thut, grösser ist als der
Widerstand, den er entwickeln kann, und er bleibt verkürzt auch ohne alle
Anstrengung, wenn gar keine andere Kraft dehnend auf ihn wirkt, oder gar
seine Verkürzung noch von anderen befördert wird. Mit einem Worte: seine
G-estalt ist gar nicht allgemein abhängig von seinem Thätigkeitszustande, sondern
nur von der gegenseitigen Lage seiner Enden und seiner beständigen Elastici-
tät, mag der Grund der Lage der Dinge in oder ausser ihm selbst liegen.
Einen deutlichen Unterschied giebt es im Leben zwischen dem thätigen und
ruhenden Zustande, mag der eine zur Verkürzung, der andere zur Dehnung
führen oder nicht: der thätige fühlt sich, lang oder kurz, hart an, der
ruhende weich, weil die Energie des Widerstandes gegen Dehnung ihn straff
zieht, die Erschlaffung ihn selbst biegsam macht. Ja es kann im letzteren
Falle, wenn der Muskel bei minimaler oder gar keiner Anstrengung doch
durch keine fremde Gewalt ausgedehnt wird, so weit kommen, dass seine eigene
Schwere genügt, seine gerade gestreckte Gestalt etwas zu verändern, zu bewirken,
dass, wenn er horizontal zwischen zwei Enden aufgehängt ist, das Mittelstück
etwas im Bogen herabhängt, oder, wenn er senkrecht von einer oberen Befestigung
herabhängt, dass sich das untere Ende etwas auf seine Befestigung
hinabsenkt. *) Aber das macht nur wenig aus in Bezug auf die Länge. Sie
bleibt im Ganzen doch so gross oder klein, wie es die jedesmalige Entfernung-
der Enden von einander mit sich bringt, mag der innere Zustand sein, wie
er sei.
Eassen wir nun zusammen, was ein Muskel leistet, wenn zu seiner
Elasticität in gewissen Grenzen, seine Contraction mit einer gewissen Kraftentwicklung
kommt, so ist er ein activ motorisches Organ, welches einen gewissen
Zug an seinen Enden oder dem, woran dieselben befestigt sind, ausüben
kann, . und dies nennt man die Wirkung des Muskels. Die Grösse
dieser Wirkung setzt sich zusammen aus der Länge, um die er sich, wenn er
zuvor ganz gedehnt war, activ zu verkürzen und aus der Kraft, die er bei der
Verkürzung unter dem Einflüsse der Nerven, d. h. indirekt des Willens zu
entwickeln im Stande ist. Die Länge der Verkürzung hängt ab von der der
*) An fein realistisch aufgefassten plastischen Arbeiten ist auch dies stellenweise zu bemerken
, z. B. am rechten Biceps des Oberarms und an den Adductoren des linken Oberschenkels
der Aurora von Michelangelo in der Grabkapelle der Medicäer zu Florenz.
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