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Serratus, Schulter am Thorax.
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tact also von aufeinanderliegenden, aber aneinander verschiebbaren Flächen, wie
er ausser zwischen der freien Oberfläche der Eingeweide in der Brust- und
Bauchhöhle, sonst im ganzen Körper nicht wieder vorkommt. Durch Bhomboi-
dei und Serratus zusammen ist der hintere Band des Schulterblattes gleichsam
nur an den Thorax angeschlungen, indem beide Muskeln zusammen ihn
hinten herum umspannen und das Schulterblatt ihnen anhängt.
Jn dieser Anlagerung nun könnte sich das Schulterblatt leicht in jeder
Bichtung auf dem Thorax gleitend hin und her verschieben und nur die vordere
Anstützung der Schulter auf die Brust durch das Schlüsselbein würde diese allseitige
Beweglichkeit einigermassen beschränken. Wenn aber die factisch stattfindende
Bewegung beim lebenden Menschen*) nur eine ziemlich bestimmte ist,
so folgt dies eben, in Ermangelung eines Gelenkmechanismus, durch den es
vorgezeiclnu 1 wäre, einfach aus der Anordnung der Muskeln, wie bei den
einzelnen, besonders beim Trapezius (s. o. S. 71) schon erörtert. Indem sie
verschiedene Ecken des Schulterblattes in verschiedenen Bichtungen angreifen,
ertheilen sie dem ganzen solche combinirte Verschiebungen, dass daraus Drehungen
desselben resultiren. Bei alledem würden sie es aber doch zugleich mehr
oder weniger aus seiner Anlagerung verschieben, den ruhenden Punkt, um den
die Drehbewegung erfolgt, aus seiner Buhelage wegdrängen, wenn sie sich
nicht auch mit diesen Effekten einander compensirten und die Wage hielten.
Namentlich würden wohl alle die hinteren Muskeln, Trapezius, Latissimus,
Rhomboidei, die hauptsächlich die Drehungen des Schulterblattes bewirken,
einzeln und zusammen auch einen Zug nach hinten auf dasselbe ausüben, wodurch
sein hinterer Band, über die Linie der Bippenwinkel, der er gewöhnlich
anliegt, hinaus, der Wirbelsäule genähert, oder neben ihr vom Thorax abgleitend
ganz von der Berührung mit demselben weggeschoben würde, wenn nicht diesem
Zuge durch einen entgegengesetzten nach vorn Widerstand geleistet und das
Gleichgewicht gehalten würde. Und dies ist die gemeinsame Wirkung des
ganzen Serratus, wenn auch seine oberste und unterste Portion, wie die verschiedenen
hinteren Muskeln, in verschiedener Weise sich an den Drehbewegungen
betheiligen. Er würde als Ganzes die Platte des Schulterblattes gerade
nach vorn um den Thorax herumholen. Er widersteht dadurch im Ganzen und
in seinen Einzelportionen den entgegengesetzten Effecten aller hinteren Muskeln,
die es rückwärts abschieben würden. ■ Man kann sagen: er vertritt mit dieser Wirkung
jenen gegenüber die Stelle eines Gelenkes, welches das Abweichen der Schulter
vom Anliegen an seinem Orte auf dem Thorax bei seinen Drehungen verhindern
würde, und dieses sein Verhalten zu jenen beruht zuletzt auf Gegenseitigkeit;
auch sie verhindern ihn, das Schulterblatt nach vorn von der Stelle zu ziehen;
miteinander halten sie es zwischen sich schwebend an seinem Orte, während
sie es in dieser Lage abwechselnd hin- und herdrehen.
*) Und selbst bei Hunden, Pferden und Ochsen, die gar kein Schlüsselbein haben, bei
denen also das Schulterblatt rein nur in den Muskeln am Thorax anhängt.
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