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LIEBE
arbeitet, duldet, müliet sicli das Weib,
für Weib und Kinder der Gemahl, der Vater. —
Für's Vaterland verspritzt der Tapfere
sein Blut, verhaucht der Mann von Kraft und That
den letzten Athemzug; und für den Bruder,
den Lier bei'm Bundeseid niclit blofs -der Griff, —^
der vielbegriffne unbegriffhe Griff, —
nein! eine himmlische Gewalt, verband,
für diesen Bruder opfert sich der Bruder,
Entfesseln wollt' uns die Natur, befreien
yon engen Schranken unsres armen Selbst,
als sie das Wort aussprach: „In Andern, nicht
in dir, o Mensch, sey deines Daseyns Reiz;
für Andere sey deines Wirkens Ziel!"--
Und darum schuf sie, des Allvaters Tochter,
des ehelichen Bundes Zärtlichkeit,
WO Zwei auf Tod und Leben sich vereinten,
ein Sacrament der Liebe, wo das Ich
kein Nicht-Ich kennt, die Zwei zur Eins verschmilzt.
Doch, oft entweiht durch Sinnentrug und Lust,
ward dieses Sacranient ein Tummelplatz
der bösen Geister und der Hülle Vorhof»
Der Egoismus hafst den Ehestand;
die Selbstsucht lacht, der Frevel spricht ihm Hohn
und nennt den Eitstand einen Wehestand. —
Darum berief, der dieses Weltall baute,
in diese Hallen uns zum Bniderkufs.
Verllucht, Wer als I s c h arior ihn hüfst t
Gesegnet sey, Der die drei grofsen Lichter,
die dcutungvoll um diesen Teppich stehn,
in eigner Brust entzündend keusch bewahrt, —
in eigner Brust zur Bruder lieb' entflammt, —<
in eigner Brust, wenn ihn der grofse Meister
zum Lohn beruft, mit sieh hinüberträgt!
Dank Dir, du grofser Meister, dafs du so
das Räthsel lOs'test, so des Schicksals Faden
in unsre Hände gabst, als du die Freien
in diese hei Tg e Bruder k et t e bandst!
Wer nur sein eignes Ich anbetend pflegt,
ist ein Atom, vor Gott und Menschen Nichts.
Nichts wirkt die Einheit, wirkt sie nur allein;
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