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MELESINO
MELESINO. 467
„Nach sechszehn zurückgelegten
Wochen betraten sie ein
wahres irdisches Paradies, wo
ein immerwährender Frühling,
bei dem schönsten Himmel,
herrschte. Die Blüthen und
reifen Früchte einer Menge tragender
Bäume hauchten zugleich
die angenehmsten Düfte
von sich. Unter diese mischten
mit buntem Schmelz gezierte
Blumen, womit die ganze
Flur bedeckt war, ihre balsamischen
Gerüche und belustigten
das Auge mit nie erschöpfter
Anmuth. Ein sanft
Tauschender Silberbach schlän-
felte sich durch dieses Lustge-
Ide, in welchem kein einziger
Sinn ungereizt und unbefriedigt
blieb. Was dem Gaumen
aufs Lieblichste schmeichelte
, gab dem Magen die gesundeste
Nahrung und dem
ganzen Körper die meisten
Kräfte. Die Ritter, nachdem
sie sich von den ausgestandenen
grofsen Mühseligkeiten erholt
hatten, fanden bei einer
angestellten genauen Untersuchung
, dafs dieser glückliche
Platz nur tausend Ellen lang
und breit war, und mit hohen
steilen Felsen, als mit einer
Mauer, umgeben war. In einer
kleinen Entfernung wurden
sie einen heiligen Hain gewahr
, t mit einem alten Tempel
. Über der Thüre des Tempels
stand die Aufschrift in hebräischer
Sprache: „Keiner
nähere sich diesem heiligen
Tempel Bethsemcs, der kein
Kenner und Verehrer der sieben
Wissenschaften und zugleich
von aller Neugierde befreit
,,DiePdtter nahmen sich einander
hierüber einen Eid ab,
gingen sodann in den Tempel
und legten in der Mitte desselben
ihre heilige Beute nieder»
nämlich, den Schatz, den sie aus
Jerusalem mitgebracht hatten.
Dieser bestand in einem viereckig
ten elfenbeinernen Kasten,
der an den Ecken mit Gold ein-
gefafst, mit Edelsteinen besetzt
und vonliiram selbst verfertigt
war. In demselben lagen zwei
Stück gediegenes Gold, jedes einen
Elbogen lang und dick,
welches zu den Kronen und
Piedestalen. gebraucht werden
sollte, so an den beiden Säulen
Jachin und Boaz noch fehlten.
Weil nun dieses Gold von Sa-
lomon selbst verfertigt worden
war, so wurde es für heilig
gehalten und zu dem Allerhei-
ligsten gelegt. In der Mitte
des Kastens wurde das Brustschild
mit den 12 Edelsteinen,
nach der Anzahl der 12 Stämme,
aufbehalten, welches Moses verfertigen
liefs und der Hohepriester
alle Jahr einmal, wann ex
in das Allerheiligste trat, an
seiner Brust tragen mufste , ingleichen
eine dicke golden©
Platte, worauf das Urirn und
Thummim gegraben war.— Ganz
unten im Kasten lagen vier goldene
Schausti/cke, auf deren Einem
das Lehrlings-, auf dem
Zweiten das Gesellen- und
auf dem Dritten das Meisterwort
, auf dem Vierten aber
Nichts, geschrieben war. Das
alte Meisterwort stand auf dem
Deckel des Kastens in einem
Dreieck. Zur linken Hand er*
bückten sie die Normam, zur
rechten aber einen Sarg von
schwarzem Jaspis, auf dessen
Deckel folgende Worte in arabischen
Buchstaben standen:
,, ,,Gott selbst ist liier der Wächter
.'* i6 — Dieser Sarg war 9
Jahr und 3 Monate lang den
schottischen Rittern ein wahres
Geheimnxfs, bis sich endlich
Einer von ihnen unterstand,
seine Neugier zu stillen, und
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