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MO LAY.
MOLAY. 505
Genüge thun sollte.' Bei diesem
Nachsinnen fiberfiel ihn
die Nacht. Alsbald legte er
Reisekleider an", nahm seinen
Mantel, den er bereits bei seinem
ersten Gange in die Gruft
der Grofsmeister umgehabt hatte
, nebst der Blendlaterne und
den drei Schlüsseln, und gab
beim Weggehen vor, dafs er,
auf's Land zu reisen, gedächte.
Gerade um Mitternacht trat er
in die Gruft der Grofsmeister,
und zwar durch die kleine
Pforte, welche ihm Molay bemerklich
gemacht liatte, und
kam zum Sarge des vermeintlichen
fieaujeu, gieng alsdann
durch die ihm bezeichnete Nische
in ein noch finstereres Gewölbe
, grub an der angegebenen
Stelle nach und hob den.
beschriebenen Kasten aus der
Erde heraus. Er schlofs ihn
mit dem dritten Schlüssel auf,
band, da er denselben, wegen
seiner allzu beträchtlichen
Schwere, nicht forttragen konnte
, sich Tücher um den Leib
und nahm die wichtigsten Papiere
, Urkunden und Archivstücke
des Ordens heraus, ver-
schlofs die Krone, die Lainpe,
den siebenarmigen Jjeuchtcr ,
den Hing der Grofsmeister u. «.
w., über welche Sachen er in
Erstaunen gerieth, in den
Kasten und verscharrte diesen
svieder. Da er aber die gelachten
Papiere nicht alle auf
Einmal fortbringen konnte: so
tieg er mehre Male hinunter,
Ks er Alles heraufgeholt hatte,
ilsdann gieng er aus dem Tempi
fort, reisete noch in der
nimlichen Nacht von Paris ab
uid nahm seine Wohnung^ auf
eiiem, ihm gehörigen, kleinen
V^einberge in der Nähe der
Stdt. Hier verweilte er 6 Tagelang
und las zu wiederhol-
eei Malen die Urkunden über
die vormaligen B esitzungen «3es
Ordens durch; wobei er über
diese wichtigen, aus der Gruft
der Grofsmeister geholten, Urkunden
in nicht geringes Erstaunen
versetzt wurde."
„Nach. Verlauf jener 6 Tage
kehrte er, eingedenk seines Versprechens
, dafs er sich bemühen
wolle, Molay's Körper im.
Ordeuskleide in dem Begräbnisse
seiner Väter beisetzen zu
lassen, nach Paris zurück, liefs
seine beiden Lehrmeister (In-
strueteurs*) zu sich kommen und
entdeckte ihnen, womit er sich
während der 6 Tage beschäftigt
und dafs er sich vorgenommen,
habe, Molay in der Ordenskleidung
zu begraben, und.den
Orden so lange fortzupflanzen,
bis neun vollkommene Baumeister
auf der Erde seyn würden
. Die Beiden Lehrmeister
benachrichtigten ihn hierauf
von den besondern Umständen
der Hinrichtung des Grofsmei-
aters, von der sie Augenzeugen
gewesen waren, und wie sie
selbst mit angehört hätten, dafs
er , sterbend, den Papst Clemens
V. und den König Philipp
<, den Schönen, Jenen innerhalb
4o Tagen und Diesen
in einem jähre, vor dem Richterstuhle
Gottes zu erscheinen,
gefodert habe. *) Sie erzähl-
*) Der Zufall bestätigte sonderbarerweise
dieses, damals verbreitete
, Gerücht. — Papst Clemens
V. (s. oben diesen Art.!) erkrankte
bald nach Molay^s Hinrichtung
an einer Abzehrung
(tnaladie languissante) und ließ
sich von Avignort,, wo damals
der päpstliche Sitz war, nach
Jßourdedux und von da nach Ao-
que-maure sur le Rhone bringen,
um in einem andern Himmels-
stricke zu genesen, starb aber
an letzterm Orte am 18ten oder
SOsten April 1314. Audi König
Philipp ward zu gleicher Zeit
von einer Abzehrung' (langueur)
befallen, deren Ursache die Arzte
niemals ergründen kannte«, und
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