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540 MYSTERIEN
MYSTERIEN.
bei auch, nicht fafslicher gemacht
hätte, wenigstens eine
viel wärmere Andacht exregen ;
da sie gewöhnlich von andern
feierlichen Geprängen unterstützt
wurden ; und weil heilige
Tempel die Schauplätze und
ehrwürdige Priester die Acteurs
waren.**
„Wie sehr die Lehrart der
alten Mysterien der Denkart
roher Völker und unaufgeklärter
Zeiten angemessen sey,
kann man auch daraus sehen,
dafs sie in den finstern Jahrhunderten
des Mittelalters selbst
von den Lehrern und Vorstehern
der christlichen Religion
fast allgemein gebraucht wurde
. In diesen, den menschlichen
Geist so sehr beschimpfenden
, Zeitaltern waren die
Lehrer des Volks selbst viel zu
unwissend, als dafs sie die erhabenen
Wahrheiten der christlichen
Religion bei gottesdienstlichen
Versammlungen hätten
vortragen können. Die ganze
Dogmatik der christlichen Religion
bestand in den meisten
Ländern Europens in einer
Meinen Anzahl spitzfindiger
Fragen 7 die zu — Jahrhunderte
lang dauernden — Streitigkeiten
Anlafs gaben, aber sehr
selten aus den finstern Schul-
kerkern auf die öffentlichen
Rednerstülile kamen. Man predigte
freilich: aber diese Predigten
hatten fast nur allein die
auf das Entsetzlichste verunstalteten
Begebenheiten der heiligen
Bücher zum Gegenstande
, und nicht nur diese, sondern
vorzüglich die grofsen
Wunderthaten unzähliger Heiligen
beiderlei Geschlechts, die
schändlicher Eigennutz und
fromme Schwärmerei gemeinschaftlich
der höchsten Gottheit
an die Seite gesetzt hatten
. Aber auch diese Predigten
waren nicht derjenige Tlieil
des Unterrichts, auf den die
Lehrer der Religion den meisten
Fleifs, und ihre Jünger
die gröfste Aufmerksamkeit,
wandten 5 sondern an einem jeden
grofsen Festtage, oder bei
einer jeden Gedächtnisfeier eines
Heiligen, stellte man die.
Handlung, oder Begebenheit,
um derentwillen ein solcher
Festtag eingesetzt worden, oder
wodurch der angebetete Heilige
sich am Merkwürdigsten gemacht
hatte, auf eine theatrali- *
sehe Art in . den Gotteshäusern
oder Klöstern vor; und die einzige
wahre Religion sank daher
zuletzt zu einer, heiligen
Mummerei "herab, von der
man noch in manchen Winkeln
Europens, besonders aber in
den portugiesischen und spanischen
Besitzungen des südlichen
Amerika, die traurigsten Überbleibsel
findet.*'
,,Die meisten Mysterien wurden
des Nachts gefeiert, und
zwar aus mehren sehr begreiflichen
Ursachen, unter welchen
folgende wol die Natürlichste
und Wichtigste war, dafs alle
theatralische Vorstellungen den
tiefsten Eindruck machen und
die stärkste Täuschung erregen,
wenn der Schauplatz . selbst
durch die Erleuchtung von
Lampen oder Kerzen vorzüglich
die Aufmerksamkeit an
sich zieht, der Zuschauer hingegen
an weniger erleuchteten
Ort<,*n sich befindet und
durch Mauern von der übrigen
Welt getrennt ist. Es gehörte
ferner kein grofser Scharfsinn
dazu, um zu bemerken, dafs
das Feierliche der dramatischen
Handlung diirch#die Stille und
Dunkelheit der Nacht erhöht
werden müfste, und dafs alle
Arten von Maschinen nirgends
glücklicher, als in eingeschlos-
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