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550 MYSTERIEN.
MYSTERIEN.
Grades, die gegen allen Aberglauben
die gewisseste Arznei
enthielten, zu unterdrücken,
und dafür die gewöhnliche
Nahrung dieser einträglichen
Seelenkrankheit unterzuschieben
. Sie nahmen endlich jene
verhafsten Wahrheiten «mit sich
in's Grab; und die Meisten ihrer
Nachfolger hatten das den
Götzenpfäffen aller Zeiten und
"Völker so erwiin schliche Glück,
dafs sie, aus Dummheit oder
Schwärmerei, selbst glaubten,
Was sie, aus Ei gennutz, auch
gegen ihr Gewissen gelehrt
haben würden* Nun hekam
das Wort: Mysterien, so vielerlei
Bedeutungen, als der
herrschende Aberglaube Gestalten
hatte. Das einzige Merkmal
, welches alle diese Bedeutungen
unter sich gemein hatten
, war Unbegreiß ichkeif, oder,
besser zu sagen, Vemunftlo-
sigkeit. Bas ffeiligthum, welches
vormals für den Eingeweihten
kein Geheimnifs hatte
, zeigte ihm nun Nichts, als
Geheimnisse; und je weiter er
in das Innere desselben vot-
drang, desto schwerer wurde
es ihm , von »einer Vernunft
Gebrauch zu machen. Die Ce-
remonien nahmen an Menge
und Abenteuerlichkeit zu; und
je weniger sia dem Verstände
darboten, desto mehr gaben sie
einer durch tausend Kunstgriffe
erhitzten Phantasie, zu hoffen,
zu vermuthen, zu errathen.
Der betäubte Suchende sah und
hörte Dinge, wovon er in der
Natur nichts Ahnliches angetroffen
hatte, und hielt sie für
übernatürlich. Der Wunderglaube
, der mit ihm von seiner
ersten Kindheit an aufgewachsen
war, erleichterte es
dem Mystagogen, ihn auch in
den alltäglichsten Gegenständen
und Handlungen, an PFasch-
wasser und Salböle, Speise und
Trank, und dem mit gewissen
Wortformeln begleiteten Gebrauche
dieser Dinge, sichtbare
Zeichen der unsichtbaren
Einwirkung der Götter gewahr
werden *u lassen. Die alten
Hieroglyphen, die vorhin einen
Sinn hatten, der, gedacht
werden konnte, hatten nun eine
innere Kraft, die geglaubt
werden mufste; *nit einem
WoTte, das ganze Institut war
nun gerade'das Gegentheil von
Dem geworden, was es vorherwar
, ohne dafs es darum
seine der Welt in die Augen
fallende Aufsenseite beträchtlich
geändert und seinen alten Namen
verloren hatte." *)
„Allein, auch selbst bei diesem
Zustande der alten Mysterien
blieb doch der Gegenstand«
derselben den Eingeweihten
kein Geheimnifs. Sie waren
entweder Betrüger, oder Betrogene
, fanden aber in beiden
Fällen., Was sie suchten. Sie
hatten zwar verschiedene, allein
doch immer bestimmte,
Entzwecke, deren sie sich be-
wufst waren. Die Einen holten
sich in dem Heiligthume
Gesundheit, Leibeserben, Vergebung
der Sünden, Unverletzbarkeit
, Orakelsprüche, geheime
Wissenschaften, magische
Künste, und wie die Gnadenschätze
alle heifsen mochten
, — die Andern aber das Geld
und die Ehrenbezeigungen der
Ersten, — ab. Beide Classen
wufsten-, Was sie dabei zu
*) Wer sich von der Wirklichkeit
solcher Mysterien überzeugen
will, lese den,, Hirten-Brief
an die wahren und, ächten Freimaurer
alten Systems1-11785; [VIII
und 248 SS., und neue Auflage,
1785, VIII und — wegen des engem
Drucks, nur — 224 SS.]!
Anm. des Srs. Decius.
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