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MYSTERY.
MYSTERY. 555
der gesungen wurden, Musik
gemacht und vielleicht auch
getanzt ward. Sie waren sehr
verschieden; alle hatten aber
einen Anstrich von Feierlichkeit
und eine Beziehung auf
diese oder jene alte Sage von
.Göttern und Heroen* Man
durfte nicht erzählen, Was
man da gesehen und gehört
hatte; und man ward auf eine
feierliche Weise durch eigen-
thümliche Ceremonien vorbereitet
, ehe man zugelassen
ward."
„Nun läfst es sich denken,
dafs in diese feierlichen Aufzüge
, je langer sie dauerten,
desto mehr Sinn theils gelegt
wurde, theils von selbst kam ;
weil die Zuschauer nach und
nach immer weniger roh wurden
. Was der erste Initiirte,
wie unförmlich und abgeschmackt
es auch seyn mochte,
als etwas Göttliches angestaunt
hatte, weil er überrascht ward,
mufste schon ganz anders verziert
und durch mitwirkende
Künste gehoben werden, um
die Augen seines Enkels zu bezaubern
. Es läfst sich denken,
was für wichtige Anstalten
daraus zu machen waren, wenn
man gar die Allegorie zu Hülfe
nahm. — Wenn unter uns
Christen die Gesellen irgend
eines Handwerks bei irgend einer
besondern festlichen Veranlassung
, ihrer Zunft einen
Aufzug halten , wobei Merkur
und Bakchus, und alle Gottheiten
des Olymps, neben
heiligen Engeln und wilden
Männern paradiren : so mufste
der Redner nur ganz bettelarm
an Witz seyn, der nicht mit
Hülfe der Allegorie, einen gewissen
geheimen, tiefen Sinn,
eine vielsagende , wichtige Bedeutung
, in das buntscheckige
-Ganze zu legen, vermöchte.
Aber , war dieser herausgedeutete
Sinn , diefs Spiel des Witzes
, die Absicht und der Zweck
des Aufzugs?"
„Wenn wir finden, dafs irgendwo
, im Alterthum irgend
einigen Mysterien von'irgendeinem
Schriftsteller ein solcher
geheimer Sinn, ein verborgener
Zweck, der auf die eine
oder die andre Art ein Ansehen
von Weisheit erhält, wirklich
beigelegt wird: so können
wir vernünftigerweise am
Allerersten schliefsen, dafs Diefs
zu solcher Zeit und unter solchen
Umständen geschehen
seyn müsse, wo das Wesentliche
der Mysterien, der Pomp,
die Aufzüge, die alte Wirkung
auf die mehr cultivirten Menschen
schon verloren hatte,
und wo das Ansehen dieser.
Feierlichkeiten, um nicht ganz
zu sinken, der Stütze der Allegorie
, der Hülfe des Witzes
und einer sinnreichen Deutung,
bedurfte. Denn, es ist doch
schon ein auffallender Umstand
, dafs bei der grofsen
Menge von Mysterien unter
allen Mystagogen auch kein
einziger berühmter Mann gewesen
ist, dessen Name mit
dem Rufe seiner Weisheit auf
die Nachwelt gekommen wäre.
Es läfst sich nicht wol denken,
dafs die weisen Männer aus
Demüth die Dunkelheit so sehr
geliebt hätten; denn die Demüth
ist eine christliche Tugend
:, von der sich aufser der
Kirche wenig Spuren in der
Geschichte hnden. Auch hat,
Wer diese UnWahrscheinlichkeit
glaublich finden könnte,
noch eine Frage zu beantworten
. ,, „Wie geht es nämlich
zu, dafs unter allen den grofsen
Männern, in deren Schriften
Liebhaber der geheimen
Weisheit und. der doppelten
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