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MYSTICISMUS.
MYSTICISMÜS. 577
Viele dentsche Logen haben
jenem v er wer fliehen My~
sticismus den Eingang versperrt
,* und neuerlich haben
sogar die Mitglieder einer
solchen in ihrem Umlaufschreiben
vom Monat Marz
1823 nachstehende kräftige
Äufserungen abdrucken lassen
. —
,, Sowie wir fortwährend,
der. Wahrheit hold, alle Täuschungen
zu zerstreuen, suchen,
die der Betrug erdachte: so haben
wir nach Kräften uns bestrebt
, jenem Gebilde der
Nacht entgegenzutreten, welches
in unsrer bedeutungvollen
Zeit unter lnannichfacher
Gestalt umherschleicht, um
uns desto sicherer zu berücken
und zu verderben. Wir verstehen
darunter den finstexn
Gemüthsglauben Derjenigen,
die sich dem falschen Mysticis-
mus ergeben, — welche, da
sie in ihrem Iiinern keine Ruhe
und Eintracht gewinnen können
, solche ausserhalb suchen,
— welche in der Vernunft
nicht das höchste Geschenk der
ewigen Weisheit finden, — welchen
Alles verächtlich scheint»
was auf Vernunftgründe sich
stützt, und nach welchen der
Mensch durch und für sichkei-
, ne Erkenntnifs und keinen Willen
haben, sondern blofs hohem
Eingebungen folgen soll,
unter weichen sie öfters Nicht«
anders verstehen, als die Ausbrüche
ihres eignen verwirrten
Gehirns, ihnen selbst am Unverständlichsten
.,. Dieses Ungeheuer
in dem Äther der Vernunft
z-ti ersticken, damit ihm
die Kraft nicht neu wachse auf
der Erde, dazu fühlen wir uns
berufen; und in diesem Kampfe
werden wir nie ermüden.
Den reinen und wahren, allen
religiösen Gemiithern eignen,
Mysticismus hingegen, der in
der Anerkennung der Schranken
des endlichen Verstandes,
in einer gläubigen Hingebung
an eine höchste Weisheit und
Güte, und in der Nährung aller
der frommen Gefühle des
Vertrauens, der Liebe und der
Hoffnung seine Beruhigung
findet, — diesen hegen wir,
diesem ergeben wir uns,— die
Beruhigung, die dieser gewährt
, suchen wir, — und diese
Beruhigung wünschen wir
unseren Brüdern allen.
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