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Verquickungen und Verstrickungen, in die der
ausländische Publizist gerät, der seinen rechten
Weg gehen möchte. Mancher Schriftsteller gibt
einem wohlfeilen feuilletonistischen Spieltrieb all-
i zuwillig nach, würzt seinen Bericht mit kleinen intimen
Anekdoten, Witzen oder Seitenhieben, die
der eine Mann im Kreml über den anderen Mann
im Kreml dem Journalistenohr in einem Augenblick
der guten Laune preisgegeben hat. Ich
könnte ein Lied davon singen, in welche Kalamitäten
mich noch vor dem Betreten Rußlands
und dann in den ersten Moskauer Wochen die
♦ scharf gespitzte Zunge Radeks gebracht hat. Radek
hatte einem meiner entfernteren Vorgänger, einem
Engländer gegenüber sich über ein großes Tier
im russischen Auswärtigen Amt näher ausgelassen
; er hatte dieses Tier unter die Langohrigen
eingereiht. Der Vorgänger brachte die Äußerung
wortgetreu und mit Nennung aller Namen
in sein vielgelesenes Buch, und da ich als ausländischer
Publizist dem Auswärtigen Amt unterstellt
war, hatte ich als „Protege Radeks" natürlich
die Folgen zu tragen. (Nicht ich allein.)
i Manch' einer hat sich eine Woche lang in Petersburg
oder Moskau aufgehalten, ist dann nach
Hause gefahren und hat ein Buch über Rußland
geschrieben. Es muß gesagt werden, daß die wenigsten
unter uns, die Bücher über Rußland ge-
i schrieben haben, der Sprache des Landes mächtig
sind. Wie viele waren imstande, ihre Erfahrungen
direkt aus dem Verkehr mit dem Volk zu
schöpfen? Offizielle Vertreter der Staatsgewalt
sind es zumeist, die den Fremdling über das
System, die Zusammenhänge belehren. Die Volkskommissäre
sind fast ausnahmslos ehemalige Emi-
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