http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/holitscher1921/0058
waren, wies uns der Betriebsleiter des Bahn
hofs zu einem Schuppen, wo wir Spaten und
Schaufeln aus Eisen und Holz vorfanden; wir
hatten für eine geplante Trambahnlinie längs des
Eisenbahngleises eine Strecke von 70 Metern Länge
und 10 Metern Breite von zähem, seit sechs Jahren
angestautem und verhärtetem Schmutz und
Schlamm zu säubern. Wir stellten uns nun in
eine Reihe auf, entledigten uns unserer Oberkleider
und begannen zu schaufeln. Freund
Quäker machte rasch ein paar Kodakaufnahmen
und stand dann in herrlichem grauleinenen Overall
, dem amerikanischen Arbeitsgewand, Hose,
Weste und Hosenträger aus einem Stück, der
Zukunftskleidung der Kommunisten, „Internatio-
nalka" genannt, da; er arbeitete für vier. Ich
erkannte viele aus dem Amt, die mich in dieser
letzten Woche mürrisch und ohne Freundlichkeit
behandelt, die an mir vorübergeblickt und mir unwillig
Auskunft gegeben hatten. Jetzt nickten
wir einander zu, waren freundlich zueinander,
alles Mißtrauen schien geschwunden; wir standen
ja da und schaufelten gemeinschaftlich knöcheltief
in demselben zähen Dreck.
Der Tag war so heiter und glasklar. Hinter uns
auf einem Gleise stand ein langer Zug mit heimkehrenden
österreichischen, tschechischen und
ungarischen Kriegsgefangenen, die uns verwundert
anblickten. Wir arbeiteten, und hier und dort
wurde auch gesungen. Wenn auch nicht überall
und von allen. Neben mir stand eine junge
litauische Arbeiterin, die ihre Spatenhiebe in den
Kot mit kleinen Ausrufen begleitete. Einmal sagte
sie: wenn nur jeder vor seiner Tür den Mist weg
schaufeln wollte, wir brauchten nicht hier zu
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