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Aus der freien samstägigen Überstundenarbeit der
Kasaner ist eine allrussische allsonntägliche sechsstündige
Zwangsarbeit geworden. Uns Ausländern
folgte der Woskressennik in unser Haus nach.
Am ersten Wintersonntag waren die Bewohner
unseres Hauses verpflichtet, von zehn Uhr morgens
bis vier Uhr nachmittags im Hofe unseres
Hauses Holz zu sägen, zu spalten und in die
Kellerräume zum Zentralofen zu befördern. Diese
Arbeit hatte einen leicht humoristischen Beige
schmack der Parodie an sich. Die im Hause an
sässigen Arbeiter nämlich leisteten in zehn Mi
nuten dieselbe Arbeit, die wir anderen Dilettanten
in zwei Stunden zusammenstümperten,
mit verrenkten Schulterblättern, blutig geschlagenen
Daumennägeln und angesägten Hosenschäften.
Immerhin hatten wir Holzhacken gelernt, auch
war das Holz in den Kellerraum befördert, und es
begab sich jeder in sein Zimmer, um nach dem
Mittagessen: Krautsuppe, Grütze und Tee, seine
gute Müdigkeit auszuschlafen.
Der Zweck des Subbotnik-Woskressennik ist
erhöhte Arbeitsleistung. Wie eingangs erwähnt
wurde, fördert das psychische Moment der
freiwilligen, aber auch der notgedrungenen Arbeit
in einer guten, freudigen Gemeinschaft die Leistung
in beträchtlichem Maße. Immerhin darf
man Bedenken gegen diese Umwandlung und
Vergewaltigung eines ursprünglich wahrhaft religiösen
Triebes in Zwang äußern. Die Heiligkeit
der Arbeit — alle äußere Not ist nicht fähig, kann
nicht geltend gemacht werden zur Rechtfertigung
der Entheiligung der Arbeit. Die neue Justiz
Rußlands hat die Geldstrafe aufgehoben — oder
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