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ten, dann über die schwankende Holzbrücke der
Luga. Und jetzt war es die Internationale, die
brausend durch unsern Wagen hallte.
In Moskau erzählte mir ein Schauspieler von
dem greulichsten Abend seines Lebens. An diesem
Abend war der Stab und waren die Mannschaften
eines Moskauer Regimentes in das Große Theater
befohlen gewesen, wo ein zarentreues patriotisches
Stück gegeben wurde. Nach den Aktschlüssen
tönte aus den Logen, wo die Offiziere saßen,
Applaus. Die Soldaten saßen stocksteif auf ihren
Plätzen, die Augen wie hypnotisiert auf die Logen
gerichtet und rührten sich nicht. Es wäre ihnen
wahrscheinlich übel bekommen, hätten sie's getan.
Der Schauspieler sagte mir: uns auf der Bühne
schnürten sich die Kehlen zu. Wir spielten wie
unter einer kalten Dusche und liefen nach dem
letzten Wort betäubt nach Hause. —
In dem Arbeiterheer, dem Bauernheer, hat sich
bereits eine neue Disziplin, nicht von oben herab,
sondern aus innen sozusagen, aus der Freiheit
und Freude der Gemeinschaft heraus, entwickelt.
Ja sogar ein neuer Paradeschritt, der aber mit
dem zaristischen Drillschritt nichts gemein hat.
Ich habe diesen Schritt bei einer Parade auf dem
Roten Platz vor dem Kreml staunend beobachtet!
Er sieht wie das energische Stapfen eines jungen
Riesen aus, der das Gehen eben erst erlernt hat.
Der Russe ist vom 18. bis zum 40. Jahre militärdienstpflichtig
. Die aktive Ausbildungszeit und
Dienstpflicht beträgt ein halbes Jahr. Die Arbeitspflicht
der männlichen Bevölkerung Sowjet-Ruß
lands beginnt mit dem 16. Jahre. Vom 16. bis
zum 18. Jahre nimmt der Russe an den Kursen
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