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rhythmischen Übungen nach der Art desDalcroze,
die an und für sich wunderschönen Chorgesänge,
wieder das Wolgalied, wieder die Internationale,
boten eigentlich auch weniges, was mit der Proletkult
und ausschließlich mit dieser zu tun gehabt
hätte. Junge Arbeiter und Arbeiterinnen
rezitierten Gedichte, die sie selbst verfaßt hatten.
Wirklich schön und neu schien mir bloß eine
Übung gesprochener Chöre zu sein, in denen aus
Stimmwirkungen, Stimmklang und aus musikalischen
, aber den Wortsinn nie verletzenden sondern
heraushebenden Motiven Wirkungen erzielt
wurden, die ein völlig neues Kunstgebilde aus
einem neuen ansprechenden Massengefühl erstehen
ließen. Das Gedicht, das auf solche Art
rezitiert wurde, war eine Verherrlichung des
populären Instrumentes der Ziehharmonika. Der
Dirigent, der, wie mir gesagt wurde, diese neue
Kunstgattung bis in ihre letzten Möglichkeiten erprobt
und vervollkommnet hat, hieß Sergesnikoff.
Im Oktober tagte in Moskau der alljährliche
Kongreß der Proletkult — die oberste Behörde
der Bewegung selber. Es wurde da die Notwendigkeit
erörtert, Klubs und Sektionen der
Proletkult zu aktiverer Beteiligung an den großen
offiziellen Festlichkeiten der Sowjets zu veranlassen
. Die Kunst soll mit allen Mitteln zur
Massenkunst und auf diesem Wege zur Monumentalkunst
werden. D. h.: es sollen durch
die Masse Wirkungen auf die Massen geübt wer-
den. Ich sah dann eine solche Massenaufführung,
an* der sich die Proletkult mit Sprechchören beteiligt
hatte, am dritten Revolutionsfeiertage in
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