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dir gesagt, stellt ein Nonplusultra an Plumpheit
und Abgeschmacktheit dar, und du beklagst
es darum nicht allzusehr, daß die blauweiße
Holzkonstruktion den Prinzipien der Ästhetik
auch nicht ganz entspricht. In Klammern stehe
hier die Bemerkung: eine der erfreulichsten Veränderungen
des Moskauer wie des Petersburger
Stadtbildes wurde dadurch hervorgerufen, daß
die Bolschewiki eine Unzahl schlecht empfundener
und schlecht gestalteter Denkmäler einfach
weggeputzt, zertrümmert, von den Piedestalen
und Postamenten fortgesprengt haben, Zaren,
Feldherren, Adler usw. Das Denkmal Peters des
Großen, Katharinas in Petersburg, Minin und
Posharskis in Moskau ist stehen geblieben. An
Stelle des Skobeleff erhebt sich jetzt der Obelisk
der Oktoberrevolution.
Weiter oben auf dem Newski gewahrt man,
an die winklige Treppe des ehemaligen Stadthauses
geschmiegt, eine riesige Stele, die von dem überlebensgroßen
Kopf ^Lassalles gekrönt ist. Dieser
Lassallekopf, der mehr an Brutus als an Lassalle
gemahnt und aus dunkelgrün getöntem Gips ist,
ist eigentlich — außer den beiden Marmortafeln mit
der eingravierten Sowjet-Verfassung im Smolny
— das Schönste, was ich an neuer Kunst in Rußland
überhaupt zu sehen bekommen habe. Indes,
so stark und bedeutend er auch erfaßt, so wildmonumental
die Dämonie des Tribunen in ihm
auch zum Ausdruck gebracht ist, als Kunstwerk
stellt er nichts Außerordentliches dar; mein
Freund Totila Albert macht dies weit besser.
Der Kopf ist aus Gips und die Stele aus gipsbestrichenem
Holz. Sonderbar: diese steile Stele,
die vier übereinander getürmte Quadern vor-
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