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Hammer und die Sichel der Sowjets in eher abscheulichen
als anmutigen Ornnmenten angebracht
waren — für die Sowjet-Bourgeoisie ersonnen
und angefertigt — ein Sammelsurium aus
moderner Malerei, Plastik, Schularbeiten, Buch-
dmckausstellung, Herbarien, primitivem Hausgerät
, außerdem ein Saal mit Entwürfen für das
geplante Liebknecht-Luxemburg Denkmal. All' dies
sozusagen inkrustiert in das Museum der Revolution
, zu dem die Prunksäle des ehemaligen
Zarenpalastes jetzt umgewandelt sind.
Aus all' diesem Tohuwabohu habe ich mir zwei
Dingo gemerkt und herausgefischt: das erste ist,
daß in die Akademien jedermann aufgenommen
werden kann und muß, der von der Straße
hereinkommt und Kunstübung erlangen oder erlernen
will. Es melden sich in der Tat Hunderte
von jungen und älteren Leuten, Arbeitern,
Studenten. Angehörigen der Sowjet-Behörden usw.;
von all' diesen aber erscheinen in der Klasse
kaum vier oder fünf, denn wer hatte nach der
täglichen Arbeitszeit, und der Last und Qual der
Lebensmitteleinholung noch Lust und Spannkraft
zur Kunstübung?
Das andere aber war Tatlin. — Tatlin ist ein
junger Künstler, Professor an der Petersburger
Akademie, der die in wahrer Bedeutung des
Wortes geniale Idee gehabt hat: daß in einem Zeitalter
, in dem die Maschine den Menschen überflügelt
, vernichtet, zertreten und zusammenkartätscht
hat, eigentlich die Maschine als Modell
viel interessanter sei als der Mensch selbst. Tatlin
schafft infolgedessen Denkmäler für Maschinen
Und nicht mehr Akte. Die Struktur des menschlichen
Körpers erleidet, durch das Temperament
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