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nur gefährlicheren Schleichwegen der täglichen
Nahrung nachlaufen oder schleichen — auch sind
Bücher natürlich nicht mehr im Handel, der doch
aufgehört hat, erhältlich, sondern man muß vor
den Autoritäten des Narkomproß und Zentro-
petschat den Nachweis führen, daß man irgendein
bestimmtes Buch zu irgendeinem bestimmten
Zwecke benötige, und wenn man dann sein Bu-
maschka, d. h. Papierchen ausgefertigt in der
Tasche hat, ist das Buch meistens vergriffen.
In Deutschland kennt man von den Heutigen
Remisow, Brjussow, Bjäly, Kusmin. Man weiß
aber wenig von zweien der wertvollsten Dichter
der älteren und der jüngsten Generation: Alexander
Block und dem Bauerndichter Kljujew aus
dem Olonetzgebiet im nördlichen Murmansk.
Block hat unter den Schauern der ersten Zeit
nach jenen Oktobertagen ein Gedicht verfaßt,
das bis heute als der vollendetste Ausdruck jener
Epoche Geltung bewahrt hat. Es ist die „Ballade
der Zwölf". Ein kleiner Trupp Soldaten, Matrosen,
durch die Woge der Revolution plötzlich in die
Höhe geschäumtes Lumpenproletariat und verwilderte
Bourgeoissöhnchen, trabt, liebt, schießt,
haut um sich, taumelt durch die aufgelöste Winterstadt
Petersburg. Die Rhythmen dieses außerordentlichen
Gedichtes jagen und schlagen sich
gegenseitig tot wie die Zwölf. Nie knallten
Schüsse durch Strophen wie hier, in diesen
wenigen, oft nur angedeuteten Wortfolgen. Gefährliche
Raserei überschlägt sich und zerpufft
in wüster Leidenschaft; als es nichts mehr zu
rächen und zu morden gibt, wankt die Schar
mit bleichem. Gesicht, den Finger auf dem Ge-
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