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wir den Kommandanten des Hauses in tiefstem
Keglig6 an. Notdürftig bekleidet er sich mit Pantoffeln
und Flauschmantel, und wir machen
uns auf den Weg durch die Speise-, Empfangs-,
Vortrags- und Klubräume, die vorn im Palais
Wladimir, und die Wohnräume der Gelehrten,
die hinten im Palais Kyrill sich befinden. Der
Kommandant, ehemaliger Impresario und Besitzer
eines Theaterchens, in dem französische
Cochonnerien aufgeführt wurden und nach der Aufführung
die goldene Jugend und das lasterhafte
Alter der Aristokratie und der Kaufmannsgilden
mit Dämchen in verschwiegenen Zimmern Champagnerpfropfen
knallen ließ — ein jovialer Fal-
staff übrigens, dieser Kommandant — führt uns
in den kalten Prunkräumen herum, die von
Schmutz und Vernachlässigung starren und übel
riechen. Das Provisorische dieser öden, lieblosen
Räume, in denen ein paar alte, stehen gebliebene
Prachtmöbel ihr zerschlissenes Dasein neben allerhand
weiß Gott woher zusammengetragenem Gerumpel
fristen — denn es besteht ja die Absicht,
hier so allmählich 4000 Menschen zu speisen ...
Tags zuvor hatten wir das Gewerkschaftshaus,
das „Haus der Arbeit" besichtigt und dort auch
die neu eingerichtete Bibliothek zu sehen bekommen
. Im „Haus der Gelehrten" befand sich
auch so etwas wie ein Bibliotheksraum — in einem
düstern Lichtschacht standen staubige Bände auf
einer Brüstung; wir sahen sie oben stehen, als
wir die Treppe zum Palast des Großfürsten Kyrill
hinuntergingen .. .
Auf der Millionnajaseite hausen die Gelehrten.
Ich hatte mir unter diesem Gelehrtenhaus so etwas
wie ein weltliches Kloster, ein Refugium vor den
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