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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/holitscher1921/0181
Hering, einem Stückchen Gurke und einer kaffeeartigen
Ersatzbrühe. In den Kinderspeisehallen
war die Nahrung reichlicher, es gab da Gemüse,
auch schienen die Speisen besser zubereitet. Auch
diese Anstalten sind in Petersburg ordentlicher
geführt als in Moskau, wo asiatische Nachlässigkeit
mit einer fröhlichen Unbekümmertheit um
das Erdulden in Gestalt der berühmten „schiro-
kaja natura", der „breiten Natur" des Russen
dich anlacht oder angrinst, wie du willst, sei
es aus breitknochigem sarmatischen Gesicht, sei
es aus grimmig verzerrtem Totenschädel.

Es gibt in den Städten wohl keine Massenquartiere
mehr, aber der Begriff des Heims existiert
nur noch auf dem Lande bei den Bauern. Die
Wohnungen der Städter sind rationiert; man lebt
in Stuben, willkürlich zusammengepferchte Menschen
nebeneinander. (Bei der ehemals „höheren"
Bourgeoisie fand ich Ausnahmen von dieser
Regel!) Übersiedelt man, so bleiben die Möbel, die
Gemeingut sind, in der alten Wohnung stehen; in
der neuen muß man sich mit den vorhandenen
behelfen, wie es eben geht. Straßenzüge stehen
verödet, bewohnte Häuser aber sind zumeist überfüllt
.

In den Wohnungen werden bei Winteranbruch
die Fenster und Ritzen verkittet. Man schläft,
atmet, lebt sechs Monate lang in einer Ausdünstung
, die sich nie verzieht. Die alten Pelze
kommen aus den Schränken, wie sie im Frühling
hineingehängt wurden, die alten Läuse haben sich
vermehrt, und mit ihnen halten Epidemien ihren
Einzug, am ersten kalten Tage schießt Tod und
Verderben wieder in die Höhe. Es gibt zu wenig

12 Holitsoher, Drei Monate in Sowjet-Rußland 177


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