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die Herren über große Güter, Wald, Gruben, Fabriken
, Häuser, sind expropriiert; die Mittleren
leben in Angst und Gefahr von dem, was sie
beiseite geschafft, verborgen haben und nun auf
Schleichwegen verkaufen; das dem Proletariat
benachbarte Kleinbürgertum ist vernichtet und
schlimmer dran als welche leidende Klasse
immer, wenn es bei den Voraussetzungen seiner
ehemaligen Lebensführung beharrt. Der Arbeiter,
der Soldat aber kämpft hart und aufopfernd um
den Sieg des Systems.
Wie lebt die Bourgeoisie, wie bringt sie es zuwege
, ihre Existenz unter den ihr auferlegten
Bedingungen weiterzufristen ? Man kann, wenn
man sich über diese Frage von Leuten aus der
ehemaligen Bourgeoisie belehren läßt, das Wort
„Koschmar" mindestens so oft hören, wie man
sonst das Wort „Remont" zu hören bekommt.
Koschmar ist ein russisches Wort; es bedeutet
so viel wie das französische „Cauchemar", d. h.
Alp. Die Bourgeoisie bezeichnet ihren gegenwärtigen
Zustand mit diesem Wort und jeder
Tag, der vergeht und das System des Kommunismus
befestigen hilft, stößt sie tiefer in ihren
schauerlichen Traum hinunter, denn sie sieht die
Zeit nahen oder hat sie bereits erreicht, in der
nichts mehr in den Kellern vergraben, in den
Schränken eingesperrt sein wird oder ist.
Ich habe, zumeist bei Nacht und Nebel, Briefe
und Pakete aus Deutschland, Österreich und Estland
an Petersburger und Moskauer Bürger abgegeben
, die mir von Verwandten dieser Leute
anvertraut worden sind. Dabei habe ich die
ehemalige Bourgeoisie in ihren Behausungen,
Lebensgewohnheiten und ihrer Gesinnungsart
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