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Auch Duschan Makowitzky, Tolstojs Arzt, traf}
ich in Moska,u; er hat Jassnaja-Poljana verlassen,
um in seine alte Heimat in derJSlowakei zurückzukehren
. —
Ende 1920 setzte unter den deutschen Kolo-f
nisten in den südlichen Gouvernements an der
Wolga eine panikartige Flucht ein. Dieser alte,
von Katharinas Zeiten her ansässige, treue Men- i
nonitenstamm verließ seine schönen, reinen, wohl
geordneten Dörfer, die reichen Felder verkommen
nun, das Vieh verdirbt. In unbegreiflicher Verwirrung
fliehen die treuen Siedler aus ihrem
alten Lande — die Bolschewiki haben nichts!
getan, um ihnen ihren Irrwahn zu nehmen, daß sie
bei der Ausübung ihrer Religionsbräuche behindert
würden. Wohl haben da auch Aushebungskommissionen
ihr unverständiges Werk verrichtet.
Gott wurde in Rußland durch Lunatscharsky
entthront. Auf unvollkommemTWelseT wie es
sich zeigt. Zuweilen gab es, in der ersten Zeit,
wie man mir erzählte, große öffentliche Disputationen
im Großen Theater, im Dom Sojusow,
dem Haus der Gewerkschaften. Anwälte der Bol-
. schewiki und Anwälte Gottes, d. h. der in Moskau
vertretenen Glaubensbekenntnisse aller Völker
Groß-Rußlands, lieferten auf den Bühnen
Redeschlachten vor dicht gedrängten Sälen. Jedes
Bekenntnis kam zu Worte. Lunatscharsky schlug
auf das Pult und zieh den alten Gott, den vor-
oktoberlichen, der Ungerechtigkeit: er sei ein Gott
der Klassen zu nennen, ein Schurkengott!
Wie dem auch sei — der Bolschewismus dürfte
sich nicht damit begnügen, eine politische Sekte
zu bleiben, eine weltlich verkrüppelte Sekte der
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