http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/holitscher1921/0247
Völker hört die Signale!
Am 18. Januar 1919 verbreitete sich in Rußland
die Nachricht, daß Karl Liebknecht in
Berlin ermordet worden sei. Um die Mittagsstunde
des selben Tages begaben sich in einer
kleinen Stadt eines entlegenen östlichen Gouvernements
drei bewaffnete Arbeiter in das Haus eines
Bürgers. Der Bürger, ein ältlicher Mann, saß mit
seinen Angehörigen im Wohnzimmer beim Mittagstisch
. Die Arbeiter blieben im Zimmer stehen
und sagten: „Karl ist tot. Komm mit." Der ;
Bürger verstand nicht, was die Arbeiter mit diesen
Worten meinten. „Wer ist Karl? Was meint ihr
mit Karl? Wohin soll ich mitkommen?" Die
Arbeiter sagten: „Karl Liebknecht ist tot. Die
Bourgeois haben ihn ermordet. Komm hinaus." j
Der Bürger fragte noch, was die Mordtat denn mit
ihm zu schaffen habe, warum er, gerade er
hinaus kommen solle? Aber er erkannte bald, daß
es für ihn kein Entrinnen gab, er erhob sich inmitten
seiner wehklagenden Angehörigen und
folgte den Arbeitern auf den Hof seines Hauses.
Bald darauf fielen drei Schüsse. i
Einige Tage nach meiner Rückkehr aus Rußland
wohnte ich in Berlin einer politischen Versammlung
bei, in der der Redner vor einem
von Bürgern und ^Kleinbürgern dicht besetzten
Saal — es mochten zweitausend Menschen zugegen
sein — den Namen Rosa Luxemburg er- ^
wähnte. Er sprach ihn zweimal aus: das erstemal
in einem Zusammenhang, der Lachen auslöste
, das zweitemal erwähnte er ihren Tod,
worauf aus der Schar der Anwesenden lautes j
Bravo! ertönte.
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