http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/huschke1894/0013
K i n I e i t 11 Ii
Die somalische Psychologie hat, um ihr Ziel: „Verknüpfung der Geisteskräfte mit dem Körper und
insbesondere mit bestimmten Hirnlheilen" zu erreichen, mannigfache Wege eingeschlagen und von
verschiedenen Seiten Angriffe gemacht, vom Schädel wie vom Gehirn aus. Man hat den vergleichend
-anatomischen und -physiologischen Weg betreten, um durch Vergleichung des
Ilirnbaues der Thiere mit der Entwicklung ihrer Geistesthätigkeilen jenen Zweck zu erreichen, wie
es der gross angelegte Plan von Reil war, der aber durch seinen Tod unterbrochen wurde. Man
hat die Geweblehre zur Hülfe genommen, um durch die feinste Hirnfaserung den labyrinthischen
Gängen der Hirnthätigkeit nachzuspüren. Man wendete sich an die pathologische Anatomie und
die Irrenhäuser, um ihre Ergebnisse mit den psychologischen Störungen, dadurch aber gewisse Hirn-
Iheile mit einzelnen Geisteskräften in organische Verbindung zu setzen, und endlich haben auch die
Vivisectionen ihre blutigen Resultate geliefert.
Keiner dieser Wege ist zu verwerfen, keiner macht aber auch die anderen entbehrlich. Um ein
enlferntes Ziel in schwierigen Dingen zu erreichen, muss man alle Mittel in Bewegung setzen, mehr
als es vielleicht nöthig zu seyn scheint, weil wahrscheinlich ein grosser Theil derselben fehlschlägt
und uns trügerisch da oder dort im Stiche lässt, wo die anderen vielleicht brauchbar sind. Keine
jener Methoden ist also weder zu verachten, noch zu überschätzen.
Um den vergleichend-anatomischen Weg mit grossem, eindringendem Erfolge benutzen
zu können, fehlt uns noch das, was wir vom Menschen haben — eine vergleichende Psychologie
. Unsere Kenntnisse über die Psyche der Thiere sind noch immer nur fragmentarisch.
Die Encephalohistiologie, ohne Zweifel für eine ferne Zukunft einer der fruchtbarsten
Wege, ist bei ihrem jetzigen Stande ohne grosse Bedeutung. Noch viele Jahrhunderte werden ablaufen
, ehe die Wissenschaft im Stande seyn wird, mit den mikroskopischen Elementen des Hirns, mit
dem Knäuel verwickelter Nervenfasern und Hirnzellen zu experimentiren, ja manches wird vergehen,
bis dieses Labyrinth, das im menschlichen Hirn dicht geflochten vor uns liegt, nur anatomisch
aufgelöst ist.
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