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misphärcnabschniüen seyn muss, so lässt sich doch nicht verkennen, dass auch einzelne Theile der
imlcrcn Hälfte gerade im Menschen eine ganz besondere Entfaltung offenbaren. So namentlich die
Mandel. Sie ist im menschlichen Cerehcllum ausgezeichnet gross und angeschwollen im Verhältniss
zur Flocke, erreicht nicht nur den Unterwurm, sondern berührt sogar die Mandel der anderen Seile
und vcrslcckt daher Zapfen und Knötchen C^vula et nodulusj. Sie tritt beim Menschen so gewaltig
hervor, dass sie fälschlich für ein alleiniges EigenIhum des Menschen angesehen worden ist*), unge-
achlct sie auch den Affen und den meisten anderen Säugelhieren zukömmt. Dieser Irrthum ist nur daraus
zu erklären, dass, wer nicht den zickzacklörmigen Typus der Hemisphärenlappen erkannt hat, die im
Menschen vorkommenden Lappen wegen ihrer scheinbar verworrenen, principlosen Anordnung, ihrer
Kleinheit u. s. w. am Säugelhicrhirn viel schwieriger finden oder richtig bestimmen kann.
Die Flocke dagegen ist bei den Säugelhieren und schon bei den Alfen günstiger entwickelt als
im Menschen. Wirklich colossal ist sie bei Pferd und Kuh.
Warum nun aber die obere Hälfte des Cerehcllum ohne alle solche schlangcnlörmige Windungen
scy und die untere gerade dadurch sich auszeichnet, darüber wage ich keine Vermulhungen auszusprechen
. Jedenfalls deutet aber dieses entgegengesetzte Verhalten auf eine lief liegende, auch physiologische
Verschiedenheit hin. Die obere Hälfte scheint vorzüglich mit den Schenkeln des kleinen
Gehirns und folglich mit dem verlängerten Mark, die unlcre mit den Bindearmen und folglich mehr
mit dem grossen Gehirn Zusammenhang zu haben.
Ich gehe also weiter und betrachte noch
1) die erste Entstehung der Hemisphären,
2) die in der Reihe entgegengesetzter Säugclhierordnungen hervortretenden Gegensätze in der
Form der Hemisphären und
3) den Ucbergang von da in die Form des menschlichen Cerehcllum und seine Vollendung.
Nachdem zuerst der Wurm entstanden ist, wächst in der Reihe der Reptilien und constant bei
allen Vögeln als erster Entwurf der Hemisphären jcderseils ein nach hinten, aussen und unten gerichteter
rölhlicher, mit vielen Blutgefässen versehener, kegelförmiger Zapfen hervor. Dieser Zapfen,
welcher in der noch nicht ausgefüllten Höhlung des oberen Bogenganges seinen Platz nimmt und gemeinhin
für die ganze Hemisphäre gilt, ist jedoch nichts als der Anfang nur der unteren Hemisphärenhälfte
, geht daher auch aus dem hinteren Wurm hervor, während der vordere Qobere) Wurm
noch gar keine Hemisphären besitzt. Zwischen dem vorderen Wurme und dem Zapfen steigt der
Brückenschcnkcl herab und trennt beide gänzlich von einander, woraus sich ebenfalls hinreichend ergibt
, dass beim Vogel nur eine hinlere oder untere Halbkugel exislirt, die Flügel des Cenlrallappens
und die viereckigen Lappen aber noch gar nicht vorhanden sind.
Auch noch bei den Nagelliieren liegt jener Zapfen in der Grube desselben Bogenganges, wie am
Vogclhirn. Carus2) zuerst und nach ihm andere Zoolomen haben ihn als Flocke gedeutet. Dagegen
ist nur zu bemerken, dass bei dem Kaninchen und anderen Nagern die Flocke in der Thal
ausserdem auch noch an ihrer gewöhnlichen Stelle vorhanden ist, an der Seite des verlängerten Markes
, wegen ihrer Zartheit aber wahrscheinlich bisher übersehen worden ist. Dazu kommt auf der
anderen Seile, dass ein solcher Zapfen auch noch bei einigen Alfen Crimla Paniscus^)J von derselben
Höhlung des Felsenbeins aufgenommen wird, ungeachtet die eigentliche Flocke bei diesen Thieren
sogar sehr gross ist.
Vielmehr ist der Zapfen des Vogelhirns und der Nagethiere die zweite, innere ([hintere)
Curvalur der unteren Ilcmisphärcnhälllc und folglich eine erste Andeutung des unteren hinteren
Lappens, des zarten und des zweibäuchigen Lappens. Auch erscheint von ihm aus in der
Tiefe ein zarter Cebergang zu der umgeschlagenen Windung CGyrus antroßexusj höherer
1) Treviranus, Biologie VI. 96.
2) Darstellung des Nervensystems S. 250.
3) Treviranus, Biologie VI. 101
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